Japans Regierungschef Abe in Nöten

Kabinettsumbildung am 3. August - Auswirkungen auf Geldpolitik befürchtet

Japans Regierungschef Abe in Nöten

mf Tokio – Déjà-vu in Japan: Am Ende seiner ersten Amtszeit von 2006 bis 2007 verlor Premierminister Shinzo Abe infolge unpopulärer Gesetze und durch Korruptionsskandale eine Oberhauswahl. Er bildete noch das Kabinett um, aber trat dann aus gesundheitlichen Gründen zurück. Nun scheint sich der Ablauf dieser Ereignisse zu wiederholen. Diesmal mündeten die intransparente Vergabe von Immobilien an Personen aus dem Dunstkreis von Abe, ein umstrittenes Antiterrorismusgesetz und verbale Ausrutscher von Ministern bei der Kommunalwahl in Tokio in eine schwere Niederlage der Liberaldemokratischen Partei (LDP), die seit Herbst 2012 von Abe geführt wird. Wie vor zehn Jahren will der Premier nun mit einem Kabinett einen Neustart versuchen. Termin soll der 3. August sein. Unterdessen munkeln einige Boulevardmedien über eine neue Erkrankung. Kritische AnalystenstimmenDie Zustimmungsquoten für Abe sind Umfragen zufolge auf die niedrigsten Werte seiner zweiten Amtszeit abgestürzt. Als Hauptgrund gaben die Befragten an, sie misstrauten dem Premier, zudem sei er nach viereinhalb Jahren an der Macht arrogant geworden. Auch Analysten äußern sich zunehmend kritisch. Makoto Yamashita, Stratege der Deutsche Securities Japan, sieht Risiken für Anleihen und Yen, falls die Umfragewerte von Abe trotz neuer Gesichter auf der Regierungsbank niedrig blieben. Dann könnte es zu einem Wechsel im Amt des Regierungschefs bis September 2018 kommen, wenn die LDP ihren Vorsitzenden regulär neu wählt. Auch eine Debatte innerhalb der LDP über Abenomics hält Yamashita für möglich.Ein Machtverlust von Abe drohe die Geldpolitik und den Yen zu destabilisieren, warnt auch Takuji Okubo, Chefökonom von Japan Macro Advisors. Japans Finanzindustrie lehne die derzeitige Nullzinspolitik ab, so dass die Bank of Japan (BoJ) ohne die bisherige Rückendeckung von Abe mit dem Tapering beginnen könnte. Zudem werde der Nachfolger von Abe vermutlich zum fiskalischen Konservatismus zurückkehren. Dann könnte die Mehrwertsteuer im Oktober 2019 erhöht werden – als Rechtfertigung würde der hohe Mangel an Arbeitskräften als Signal für die Überhitzung der Wirtschaft dienen. Das wäre ein schwerer Fehler im Kampf gegen die Deflation, meinte Okubo.Anders als 2007 ist die Machtposition des Regierungschefs allerdings nicht direkt bedroht. “Damals gab es mit der Demokratischen Partei eine schlagkräftige Opposition, während die heutige Schwäche der Opposition der primäre Grund für die Dominanz der LDP unter Abe ist”, sagt Sebastian Maslow von der Universität Kobe. Der deutsche Politologe sieht daher keine existenzielle Krise der Regierung Abe. Dennoch stehe Abe unter starkem Handlungsdruck. “Das Kabinett muss noch einmal ganz von vorne anfangen und mit Bescheidenheit regieren”, forderte die konservative Zeitung “Yomiuri”, die Abe bislang unterstützte.Vor zwei Jahren war die Popularität von Abe schon einmal gesunken, als er trotz öffentlicher Proteste umstrittene Sicherheitsgesetze durchboxte. Damals gelang ihm die Wende, indem er sich wieder auf die Wirtschaft konzentrierte. Deswegen sei Abes Niederlage bei der Kommunalwahl ein “riesiges Kaufsignal” für Japan, urteilt Ed Rogers von Rogers Investment Advisors. Abe werde seine Pläne für eine weniger pazifistische Verfassung aufgeben und sich wieder den Wirtschaftsreformen zuwenden, so Rogers. Schon forderte eine kleine Gruppe von LDP-Abgeordneten ein neues Konjunkturpaket von bis zu 10 Bill. Yen (78 Mrd. Euro). Aber dafür müsste die Regierung ihr Ziel aufgeben, die primäre Haushaltslücke bis 2020 zu schließen.Die Finanzzeitung “Nikkei” warnte Abe davor, seinem bisherigen Zeitplan für die Verfassungsreform zu folgen. Japans Regierungschef halte normalerweise das Heft des Handelns in der Hand, weil er jederzeit das Parlament auflösen könne, schrieb “Nikkei”. Aber da der 62-jährige Politiker die neue Verfassung bis Mitte 2018 verabschieden wolle, könne er nicht mit einer vorzeitigen Neuwahl vor dem letztmöglichen Termin im Dezember 2018 drohen. Das schwäche die Parteidisziplin und locke Rivalen aus der Deckung. Erste Frau an Japans Spitze?Ein Herausforderer ist Ex-Minister Shigeru Ishiba, der 2012 die LDP-Vorstandswahl gegen Abe verlor. Als weitere Kandidaten gelten der bisherige Außenminister Fumio Kishida sowie Yuriko Koike. Die populäre Gouverneurin von Tokio hatte bei der Wahl vor zwei Wochen die Abe-Partei mit einer eigenen Gruppierung besiegt, obwohl sie aus der LDP stammt. Ihr werden Ambitionen nachgesagt, die erste Frau an Japans Spitze zu werden.