Japans steiniger Weg zur Klimaneutralität
Von Martin Fritz, TokioEine klimaneutrale Wirtschaft im Jahr 2050 sei eine “sehr schwierige” Herausforderung, sagt Hiroaki Nakanishi, Chairman von Hitachi und Präsident der Wirtschaftslobby Keidanren. Dazu muss man wissen: Wenn Japaner das Wort “schwierig” wählen, bedeutet es eher “unmöglich”. Auch Analysten sind skeptisch: Das Vorhaben sei “sehr ambitioniert”, meint DZ-Bank-Ökonom Wolf Rütger Teuscher. In der Tat: Der Verbrauch von Primärenergie erzeugt 92 % der Treibhausgase von Japan. Doch nur 11 % dieses Konsums setzt kein Kohlendioxid frei (Deutschland: 14 %). Ein Verzicht auf fossile Brennstoffe bis 2050 wäre für beide Länder also kaum vorstellbar.Auch der Weg in eine CO2-neutrale Wirtschaft ist extrem steinig. Meist liegt der Fokus auf CO2-frei erzeugtem Strom. Doch in Japan stammen nur 17 % der CO2-Emissionen aus der Gewinnung von Elektrizität. Der größte Treibhausgas-Emittent ist mit 37 % die Industrie – die Inselnation hat hier eine hohe Wertschöpfung und stellt große Mengen Chemie- und Stahlwaren her. Viele energieintensive Betriebe betreiben eigene Wärmekraftwerke. “Viele Hersteller würden eine Karbonneutralität nicht überleben”, meint Mari Yoshitaka, Analystin bei Mitsubishi UFJ Research & Consulting. In den anderen Sektoren sieht es etwas besser aus. Der Verkehr mit 20 % der Emissionen ließe sich in 30 Jahren durchaus auf Batteriestrom und Wasserstoff für Brennstoffzellen umstellen. Auch Büros und Gewerbe (19 %) sowie Privatgebäude (16 %) könnten deutlich weniger Treibhausgase ausstoßen. Häuser und Wohnungen werden zwar schon überwiegend elektrisch temperiert und verwenden oft viel Holz, sind energetisch aber bisher kaum gedämmt.Bei seiner Ankündigung der Klimaneutralität im Oktober wirkte Premier Yoshihide Suga ratlos. Als Schlüssel für das Erreichen des neuen Klimaziels nannte er “revolutionäre Innovationen”. Einen plausiblen Fahrplan in eine CO2-neutrale Zukunft skizzierte er nicht. Ökonom Teuscher nennt als mögliche Schwerpunkte Energiesparen sowie technische Fortschritte bei der Gewinnung und Nutzung “postfossiler” Energie. Doch der Regierung läuft die Zeit davon. Internationale Auftraggeber wie Apple fordern unter dem Druck ihrer Aktionäre von ihren Zulieferern eine klimaneutrale Produktion, was jedoch in Japan mangels Ökostrom schwer möglich ist. Das trifft etwa Sony, wo Bildsensoren für das iPhone produziert werden. Konzernchef Kenichiro Yoshida warnte, man müsse Fabriken ins Ausland verlagern. Die Japan Climate Initiative, ein Verbund solcher Unternehmen, hat die Regierung aufgefordert, die Ökostromquote gegenüber dem aktuellen Plan für 2030 auf 45 % zu verdoppeln. Kernenergie als TrumpfAnders als Deutschland steigt Japan nicht aus der Kernenergie aus und verfügt damit über einen Trumpf in der Klimapolitik. Nach dem jetzigen Szenario soll ihr Anteil an der Stromproduktion in 2030 von aktuell 3 % auf 20 – 22 % steigen. Wegen des neuen Klimaziels für 2050 dürfte die Regierung an der Quote festhalten, auch wenn sie als unrealistisch gilt. Nach Fukushima wurden insgesamt nur 9 Reaktoren neu gestartet, 21 werden stillgelegt. Die übrigen 24 Meiler würden bei der Altersgrenze von 60 Jahren im Stichjahr 2050 nicht mehr laufen. Aber die Nutzung bestehender Atommeiler würde Japan helfen, zumindest übergangsweise ohne Extrakosten weniger fossile Brennstoffe zu verbrennen.Darüber hinaus zeichnen sich drei von Japan bevorzugte Wege in die Klimaneutralität ab, die jeweils spezielle Stolpersteine haben. Die erste Lösung ist am logischsten: Japan produziert mehr grünen Strom, dafür muss man nur die starren Genehmigungsvorschriften lockern. Konkret baut man die Offshore-Windkraft von derzeit null auf 45 Gigawatt in 2040 aus, der erste Windpark ist soeben ausgeschrieben. Die Solarkraft wird noch wachsen. Statt fester Einspeisetarife setzt man auf Bieterwettbewerbe, um Industrie und Verbraucher preislich nicht über Gebühr zu belasten. Dennoch hadert man damit, weil die eigene Industrie nicht profitiert. Billige und effiziente Solarzellen und Windturbinen kommen alle aus dem Ausland.Ein zweiter Weg soll die Wasserstoffgesellschaft sein, die Japan als erstes Land weltweit propagierte. Doch grüner Wasserstoff aus Elektrolyse mit japanischem Ökostrom ist teuer. Daher setzt man auf “grauen” Wasserstoff, etwa aus der Gasifizierung von australischer Braunkohle. Das entstehende CO2 speichert man vor Ort im Untergrund, Spezialtanker transportieren den Wasserstoff (H2) nach Japan. Diese Lieferkette befindet sich gerade im Aufbau. Man verfolgt diese Idee auch, weil sich Wasserstoff bzw. Ammoniak als H2-Träger in bestehenden Kohlekraftwerken klimaneutral verfeuern ließen.Der dritte bevorzugte Weg – CO2 Capture and Storage (CCS) – stützt Japans Industrie, da sie hier technisch vorn liegt. Durch Abscheiden, Speichern und chemisches Recycling von Kohlendioxid ließen sich heutige Fabriken und Kraftwerke weiter nutzen. Jedoch sind diese Verfahren kaum erprobt und erhöhen die Strom- und Produktionskosten. Kurz gesagt: Japan – und andere Industriestaaten – dürften es nur schwer schaffen, schon 2050 klimaneutral zu wirtschaften.