Washington

Joe Biden und das gebrochene Versprechen

Der neue US-Präsident wird der Flüchtlingskrise an der mexikanischen Grenze nicht Herr. In den Herkunftsländern will er nun Ursachen erforschen. Den Minderjährigen in den Flüchtlingslagern hilft das allerdings erst mal wenig.

Joe Biden und das gebrochene Versprechen

US-Präsident Joe Bidens Vorgänger Donald Trump stand wegen seines Umgangs mit illegalen Einwanderern ständig im Kreuzfeuer der Kritik. Nun ist es ausgerechnet Bidens Einwanderungspolitik, die jene Serie von politischen Erfolgen, die der Demokrat zuletzt feiern konnte, zu unterbrechen droht. So kündigte der neue Präsident an, die Zahl der Kinder, die ohne Eltern in Lagern diesseits der mexikanischen Grenze gehalten werden, zu verringern. Doch genau das Gegenteil ist nun eingetreten. Der Zustrom junger Menschen aus zentralamerikanischen Ländern, die ohne gültiges Visum in die USA einreisen, hat mittlerweile einen neuen Rekordstand erreicht.

Unter Trump wurden nach Schätzungen der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) 5500 Minderjährige nach dem Grenzübertritt von ihren Familien getrennt. Heute liegt die Zahl der Kinder, die in Lagern, Asylantenheimen oder „Käfigen“, wie Kritiker die umzäunten Zellen nennen, untergebracht sind, bei fast 15000. Zwei Drittel von ihnen fallen unter die Verantwortung des US-Gesundheitsministeriums. Für die übrigen knapp 5000 ist die Grenzschutzbehörde Customs and Border Patrol (CBP) zuständig. Ob und wann die Kinder wieder mit Familienangehörigen zusammengeführt werden können, ist ungewiss.

Zwar musste sich Trump den Vorwurf gefallen lassen, die minderjährigen Immigranten ausgesprochen inhuman behandelt zu haben. Als Folge seiner Null-Toleranz-Politik konnten Familien schon nach dem ersten illegalen Grenzübertritt getrennt werden. Wegen der wachsenden politischen Unbeliebtheit des Dekrets wurde dieses später wieder zurückgenommen. Biden hatte zwar einen „humaneren“ Ansatz versprochen und unter anderem das sogenannte DACA-Programm, welches Trump kippen wollte, mit einem Dekret wieder in Kraft gesetzt. DACA ebnet Einwanderern, die als Kinder nicht wussten, dass sie illegal in die USA gebracht wurden, einen Weg zur Staatsbürgerschaft. Gleichwohl schlittert der Präsident von einem Debakel ins nächste und bekommt nun auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Bei einer der demokratischen Präsidentschaftsdebatten hatte Biden nämlich eine offenere Asylpolitik versprochen und potenziellen Antragstellern nahegelegt, „kommt nach Amerika“. Nach Ansicht von Experten hat sein Versprechen eines toleranteren Vorgehens der neuen „Immigrantenkarawane“, wie Republikaner die Einwanderungswelle nennen, Vorschub geleistet.

Nun aber hat der Präsident eine Kehrtwende gemacht. „Kommt nicht, bleibt zu Hause, verlasst nicht Eure Heimat“, lautet die neue Parole. Problematisch ist für das Image der Regierung aber auch, dass Bidens Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas die Situation schönzureden versucht und sich weigert, von einer „Krise“ zu sprechen. Zugleich verbietet er Medienorganisationen, die Lager zu besichtigen. Dabei hatte selbst Trump Journalisten erlaubt, die „Käfige“ zu besuchen und Grenzschutzbeamte auf ihren Patrouillengängen entlang der mexikanischen Grenze zu begleiten.

„Die Sicherheit der Kinder hat die höchste Priorität“, betont Clara Long von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). „Wir müssen die Zustände sehen, in denen sie untergebracht sind, die Regierung muss transparenter sein“, fordert sie. Biden will nun eine Ursachenanalyse betreiben. Deswegen hat er ranghohe Regierungsbeamte nach Mexiko, Guatemala und in andere Länder geschickt. Dort sollen sie mit Politikern darüber diskutieren, wie man den Wohlstand erhöhen und die Kriminalität reduzieren kann. Erfolge an dieser Front könnten als Anreiz dienen, im eigenen Lande zu bleiben, argumentiert das Weiße Haus. Den Kindern an der Grenze hilft das freilich kurzfristig nicht.

Damit ist es nach Ansicht von Republikanern, die zuletzt eine Serie politischer Niederlagen erlitten hatten, längst nicht getan. Sie wittern Morgenluft und lassen keine Gelegenheit aus, mit Biden hart ins Gericht zu gehen. Folglich hat sich nun auch Trump zu Wort gemeldet. Nach seinen „großen Erfolgen im Kampf gegen „die Karawane“ sei es seinem Nachfolger Biden nun gelungen, „einen nationalen Triumph in ein nationales Desaster“ zu verwandeln.

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