Johnson hält Zahlung bei No Deal für "unnötig"
bet London – Vor dem Hintergrund eines drohenden chaotischen Brexits ist eine Debatte über die Zahlung entbrannt, die London an die EU leisten muss. Der britische Premierminister Boris Johnson bekräftigte am Wochenende, dass er sich im Fall eines ungeregelten EU-Austritts nicht an den finanziellen Ausgleich gebunden fühlt, den seine Amtsvorgängerin Theresa May ausgehandelt hatte. Wenn es keine Einigung mit Brüssel gebe, sei der Betrag von 39 Mrd. Pfund (43 Mrd. Euro) nicht länger juristisch verpflichtend, sagte Johnson am Rande des G7-Gipfels in Biarritz. Deshalb stünden nach einem No-Deal-Brexit, der Ende Oktober möglich ist, erhebliche Summen zur Abfederung der Folgen bereit, so Johnson.Die EU erwartet hingegen, dass London seinen Versprechen nachkommt, erklärte eine Sprecherin der Kommission am Montag. Das gelte auch bei einem ungeregelten EU-Austritt und sei entscheidend, um nach dem Brexit eine neue, auf Vertrauen basierende Beziehung aufzubauen. Brüssel betrachtet den Finanzausgleich als einen jener Punkte, die geklärt sein müssen, bevor Gespräche über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aufgenommen werden – kein geringes Druckmittel in dieser Auseinandersetzung. Zur Zahlung verpflichtetIm von May verhandelten Austrittsabkommen, das mehrmals im britischen Parlament scheiterte, hatte sich London zu einem erheblichen Zuschuss an die EU-Kasse verpflichtet. Dafür gab es mehrere Gründe: Erstens soll das Vereinigte Königreich laut dem Scheidungsabkommen bis Ende 2020 Teil der EU-Zollunion, des Binnenmarktes und von vielen EU-Institutionen bleiben – allerdings ohne Mitgliedschaft in der EU. Ein Teil der Summe ist als Gegenleistung für diesen privilegierten Zugang gedacht. Zweitens ist das Königreich noch Teil des bis Ende 2020 laufenden, mehrjährigen EU-Finanzrahmens. Der begann im Jahr 2014 und enthält fortlaufende britische Beiträge. Drittens ist London durch die langjährige EU-Mitgliedschaft Zahlungsverpflichtungen eingegangen, die erst nach dem Austritt fällig werden. Dies betrifft zum Beispiel Pensionszahlungen. Die britische Regierung schätzte die fällige Summe anfangs auf 35 bis 39 Mrd. Pfund. Mittlerweile geht der Rechnungshof von 33 Mrd. Pfund aus, weil Großbritannien über das eigentliche Brexit-Datum von Ende März hinaus EU-Mitglied geblieben ist und derzeit regulär in den Haushalt einzahlt. Von der Scheidungsrechnung werden drei Viertel bis zum Jahr 2022 fällig, der Rest bis 2064. Doch weil das Austrittsabkommen durch den Widerstand im Parlament nicht rechtskräftig ist, ist es der Teil über die Finanzen ebenfalls nicht. Manche Zahlungsgründe bestehen auch beim chaotischen Brexit weiter, andere, etwa die Teilhabe am EU-Binnenmarkt, würden hinfällig. Ein Streit vor Gericht ist nicht auszuschließen, möglicherweise vor dem Europäischen Gerichtshof. Verweigerung mit KalkülBritische Medien berichteten am Sonntag, Johnson habe prüfen lassen, zu Zahlungen in welcher Höhe Großbritannien bei einem No-Deal-Brexit verpflichtet sei. Je nach Quelle lag das Ergebnis zwischen 7 und 10 Mrd. Pfund. Die Regierung wollte das nicht kommentieren. Die hohe Scheidungsrechnung trieb Brexit-Hardliner zur Weißglut und trug zum Sturz von May bei. Johnson hofft, durch die Zahlungsverweigerung Wähler von der Brexit-Partei des Populisten Nigel Farage zurückzugewinnen. Baldige Neuwahlen auf der Insel gelten als wahrscheinlich.Vor einigen Wochen ist aus dem Umfeld des französischen Präsidenten Macron verlautet, eine britische Verweigerung käme einem staatlichen Zahlungsausfall gleich. Internationale Ratingagenturen sehen das anders: Weil es sich nicht um eine übliche kommerzielle Staatsanleihe handle, seien die Kriterien eines “Default” nicht erfüllt, hieß es zum Beispiel von Standard & Poor’s.