IM BLICKFELD

Juncker oder Schulz - oder?

Von Detlef Fechtner, Brüssel Börsen-Zeitung, 1.5.2014 Diese Wahl ist anders. Während der Bundesbürger gewohnt ist, dass ihm sonntags um 18.01 Uhr Jörg Schönenborn oder ein anderer Wahlstudioleiter anhand bunter Charts erklärt, wer dieses Mal die...

Juncker oder Schulz - oder?

Von Detlef Fechtner, BrüsselDiese Wahl ist anders. Während der Bundesbürger gewohnt ist, dass ihm sonntags um 18.01 Uhr Jörg Schönenborn oder ein anderer Wahlstudioleiter anhand bunter Charts erklärt, wer dieses Mal die Wahl gewonnen oder verloren hat, muss sich der Fernsehzuschauer am 25. Mai gedulden. Erstens, weil die Italiener die Abstimmung über ihre Europaabgeordneten nicht bereits vor dem Tatort, sondern erst spät am Abend beenden. Und zweitens, weil das mit der Feststellung, wer denn nun die Wahl gewonnen hat, im EU-Parlament schwieriger ist als im Bundestag. Schließlich gibt es auf europäischer Ebene bislang nicht das Format einer dauerhaften Koalitionsbeziehung. Europas Parteien lassen sich nur spontan aufeinander ein – für ein bestimmtes Gesetzgebungsverfahren oder eine gemeinsame Entschließung. Eheähnliche Verhältnisse zwischen Parteien sind in Straßburg und Brüssel verpönt – bislang.Gleichzeitig gibt es keine Partei, die darauf hoffen kann, Ende Mai eine absolute Mehrheit zu erringen. Die Christdemokraten, die derzeit die Nase ganz leicht vorne haben, schaffen es selbst in den günstigsten Prognosen nicht auf 30 %. Die Sozialdemokraten pendeln nahe 27 %. Gemeinsam würde es Schwarz-Rot zwar wahrscheinlich auf eine sichere Mehrheit bringen. Aber diese Rechnung bringt zunächst nicht weiter, wenn man wissen möchte, wer künftig den EU-Kommissionspräsidenten stellen wird – und damit quasi Europas Regierungschef. Schließlich konkurrieren um diesen Posten ja ein Schwarzer und ein Roter.Diese Wahl ist anders – so lautet ein Slogan, der derzeit bei keiner politischen Veranstaltung in Brüssel fehlen darf. Das bezieht sich vor allem darauf, dass anders als bei früheren Urnengängen Spitzenkandidaten um die Gunst buhlen. Was aber würde es denn nun konkret bedeuten, falls Jean-Claude Juncker, der Topkandidat der europäischen Christdemokraten, zum Beispiel 29 % der Stimmen auf sich vereinigen könnte – und sein Kontrahent Martin Schulz von den Sozialdemokraten 28 %? Wer wäre Verlierer, wer Gewinner? Die Konservativen hätten 7 Prozentpunkte gegenüber 2009 verloren, die Sozialdemokraten um 6 zugelegt. Würde Schulz nicht darauf aufmerksam machen? Würde er nicht darauf hinweisen, dass Sozialisten und Grüne, auf deren Unterstützung Schulz hoffen kann, deutlich vor den Christdemokraten lägen? Und was wäre, wenn der Abstand zwischen Juncker und Schulz oder zwischen Schulz und Juncker noch knapper ausfiele? Bisher fehlen verbindliche, von allen Seiten unterschriebene Antworten.Zudem geht die Sorge um, dass sich Europas Regierungschefs letztlich vielleicht gar nicht darum scheren, ob Juncker oder Schulz die Nase vorn haben – sondern einen ganz anderen EU-Kommissionspräsidenten inthronisieren wollen. Schließlich hat sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel den Vorbehalt geltend gemacht, dass es “keinen Automatismus” gebe. Die einschlägige Rechtsgrundlage, Artikel 17, Absatz 7, des in Lissabon neu gefassten EU-Grundvertrags gibt keine eindeutige Antwort: “Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor. Dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament.”Berücksichtigen – das kann vielerlei bedeuten. Und schließt nicht aus, dass die Regierungschefs die Personalie im Hinterzimmer ausschachern. Ständig machen irgendwelche Namen die Runde: Litauens Dalia Grybauskaite, Finnlands Jyrki Katainen, Irlands Enda Kenny. Längst befürchten auch Europaabgeordnete, die Regierungschefs könnten sich für einen Dritten entscheiden – zumal die Briten ohnehin nichts mit Juncker oder Schulz anfangen können und es eine Handvoll anderer EU-Staaten gibt, die lieber jemand anderen als Nachfolger von José Manuel Barroso sähen. Der CDU-Abgeordnete Rainer Wieland hat jüngst ausdrücklich davor gewarnt, “das Wählervotum zu ignorieren und jenseits der Spitzenkandidaten einen Vorschlag aus dem Hut zu zaubern”.Vor allem aber bemühen sich die beiden Spitzenkandidaten selbst, durch lautstark geäußerten Anspruch auf den Posten jeden Zweifel zu zerstreuen, dass irgendjemand anderes den obersten Kommissionsjob einnehmen wird. Schulz ist sehr früh ins Rennen gegangen, um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, Chef der EU-Kommission zu werden – und zwar mit einem politischeren Verständnis von diesem Amt als seine Vorgänger. Juncker wiederum hat seine Kampagne absichtsvoll “Juncker for President” getauft – und auch er macht deutlich, dass er als EU-Kommissionspräsident selbstbewusst gegenüber den Regierungschefs auftreten will, zu deren Runde er immerhin 18 Jahre gehörte. Gerade wegen dieser Ansagen der beiden Spitzenkandidaten könnte es schwer für die Regierungschefs werden, selbst wenn sie es wollten, um Juncker oder Schulz als Kommissionschef herumzukommen. Deren Aussichten, das Amt zu ergattern, sind auf jeden Fall gestiegen, gerade weil sie aktiv nach dem Posten greifen. Insofern stimmt es: Diese Wahl ist anders.