Karlsruhe wehrt sich gegen Kritik
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem kritischen Urteil zu den EZB-Anleihekäufen für große Aufregung und viele Ängste gesorgt. Nun äußern sich zwei Verfassungsrichter öffentlich und verteidigen die Entscheidung. Sie verteilen dabei aber teils auch neue Spitzen gegen die EZB und den EU-Gerichtshof. ms Frankfurt – Das Bundesverfassungsgericht setzt sich gegen die breite und heftige Kritik an seinem Urteil zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Wehr. Sowohl Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle als auch der zuständige Berichterstatter Peter Huber verteidigten die Entscheidung. Zugleich warnten sie vor einer weiteren Eskalation des Streits für den Fall, dass die EU-Kommission wegen des Urteils ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet. Dass sich Verfassungsrichter öffentlich für ein Urteil rechtfertigen, gilt als äußerst ungewöhnlich.Das Bundesverfassungsgericht hatte sich vorige Woche zum ersten Mal über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweggesetzt und das EZB-Anleihekaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) als nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet. Die Richter werfen sowohl der EZB als auch dem EuGH vor, jenseits ihrer Kompetenzen (“ultra vires”) agiert zu haben. Das Urteil hatte europaweit heftige Kritik geerntet. Die EU-Kommission prüft sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Die Brüsseler Behörde wie der EuGH selbst pochen auf die alleinige Zuständigkeit des EU-Gerichtshofs für europäische Institutionen.Voßkuhle und Huber stellten sich in Zeitungsinterviews nun gegen diese Argumentation. “Wir sehen, dass unser Urteil viele bedrückt, und das freut uns nicht”, sagte Voßkuhle der “Zeit”. Verfassungsgerichte seien aber legitimiert und verpflichtet, in seltenen Ausnahmefällen bei besonders gravierenden Kompetenzverletzungen der europäischen Institutionen einzuschreiten: “Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Entscheidung für Europa eine gute Entscheidung ist, weil sie die Bindung an das Recht stärkt. Das wird sich mittelfristig und langfristig zeigen.” Sorge um HandlungsfähigkeitDer schrankenlose Vorrang des Unionsrechts sei mit der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes und vielen anderen Verfassungen nicht vereinbar, sagte Huber der FAZ: “Auf lange Sicht würde das die Europäische Union schwächen oder gefährden.” Der Satz von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass Europarecht immer und ohne jede Einschränkung gelte, sei “so gesehen falsch”, sagte Huber in einem zweiten Interview in der SZ.Die Kritiker des Urteils sorgen sich nicht nur um die Handlungsfähigkeit der EZB in Krisenzeiten wie aktuell in der Coronakrise, sondern befürchten Risiken für die Rechtsprechung und Rechtssicherheit in Europa. Davor hatte auch der EuGH gewarnt.”Wir haben Applaus von der falschen Seite bekommen, und die Kritiker haben entweder die Stoßrichtung nicht verstanden oder wollen sie nicht sehen”, sagte Huber nun der SZ. Anders als in Polen oder Ungarn gehe es gerade nicht darum, den EuGH aus der Kontrolle der Institutionen herauszuhalten. “Wir wollen also mehr EuGH, wir wollen, dass er seinen Job besser macht”, sagte Huber. Das kann aber auch als neuerliche Spitze gegen die Luxemburger Richter verstanden werden. Huber warnte vor der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. Das “würde die Sache eskalieren, ohne dass die Bundesregierung adäquat antworten könnte”, sagte er: “Das Vernünftigste wäre, den Ball flach zu halten und zu überlegen, ob unser Urteil nicht doch ein paar richtige Punkte enthält.”Auch in Richtung EZB wählte Huber starke Worte: “Die Botschaft an die EZB ist geradezu homöopathisch: Sie soll sich nicht als ,Master of the Universe` sehen.” Die EZB sei “demokratisch nur dünn legitimiert”. “Von der EZB verlangen wir nur, dass sie vor den Augen der Öffentlichkeit ihre Verantwortung übernimmt und auch begründet.”Die EZB soll binnen drei Monaten die Verhältnismäßigkeit von PSPP nachweisen. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane sagte der niederländischen Tageszeitung “Telegraaf”, das PSPP sei “verhältnismäßig”. 2015 habe das “Risiko einer Deflation” bestanden. Die EZB ringt noch um die richtige Reaktion auf das Urteil.Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich angesichts des Urteils für eine weiter gehende Integration aus. Dies werde eher dazu anspornen müssen, im Bereich der Wirtschaftspolitik mehr zu tun, sagte sie im Bundestag: “Wir werden in klarer europäischer Ausrichtung unseren Beitrag dazu leisten, dass ein starker Euro weiter bestehen kann.”