Spanien

Kataloniens Wirtschaft verzweifelt an der Politik

Das EU-Parlament hat dem früheren Ministerpräsidenten Kataloniens, Carles Puigdemont, die Immunität entzogen. Der Wirtschaft in seiner Heimat platzt wegen des politischen Stillstandes der Kragen.

Kataloniens Wirtschaft verzweifelt an der Politik

Von Thilo Schäfer, Madrid

Es war zuletzt stiller geworden um Carles Puigdemont, den früheren Ministerpräsidenten Kataloniens, der sich nach dem verbotenen Referendum und der folgenden Unabhängigkeitserklärung 2017 nach Belgien abgesetzt hatte, um der spanischen Justiz zu entkommen. Am Dienstag hat das Europaparlament dem Separatisten und zwei seiner Mitstreiter die Immunität als Abgeordnete entzogen. Nun könnte es erneut ein juristisches Tauziehen um die Auslieferung der Separatisten nach Spanien geben.

Puigdemont hat daheim in Katalonien an Einfluss eingebüßt. Nach seiner Flucht präsentierte er sich lange als Landesvater im Exil im belgischen Waterloo, während sein treuer Gefolgsmann Quim Torra in Barcelona als Marionette der Regierung vorstand. Doch bei den Regionalwahlen am 14. Februar schnitt die Republikanische Linke ERC unter den separatistischen Parteien erstmals besser ab als das bürgerliche Lager von Puigdemont und stellt den Anspruch auf das Amt des katalanischen Ministerpräsidenten. Derzeit wird eine Neuauflage der Koalition zwischen ERC und Puigdemonts Junts per Catalunya (JxC) verhandelt, nachdem der Graben zwischen den Parteien zuletzt immer größer wurde.

Der Wirtschaft in Katalonien ist nun der Kragen geplatzt wegen des politischen Stillstandes mitten in der Pandemie. Vor einigen Tagen forderten die führenden Arbeitgeberverbände mit einer unüblichen Protestaktion ein Ende der politischen Querelen um die Frage der Unabhängigkeit. „Es reicht. Konzentrieren wir uns auf die wirtschaftliche Erholung“ war der Titel eines Manifests, das man von den sonst zurückhaltenden katalanischen Unternehmern so nicht gewohnt ist. Diesem Gedanken schließen sich die Gewerkschaften in Katalonien an.

Der Streit zwischen den Separatisten hat etwa zur Folge, dass es derzeit keinen Haushaltsplan gibt. Der ist aber umso wichtiger, als es um die Verwendung der vielen Hilfsgelder von der Europäischen Union geht. Kataloniens Wirtschaft wurde durch das Coronavirus extrem hart getroffen, vor allem der Tourismus. Das Bruttoinlandprodukt fiel im letzten Jahr um 11,4%, etwas mehr als der Schnitt Spaniens und einen guten Punkt mehr als die Region Madrid.

Doch die Kritik der Verbände stieß zunächst auf taube Ohren. Vorigen Freitag besichtigte Spaniens König Felipe VI. mit Ministerpräsident Pedro Sánchez und dem Vorstandschef von Volkswagen, Herbert Diess, anlässlich des siebzigsten Geburtstags von Seat das Werk der VW-Tochter im katalanischen Martorell. Dort wurde feierlich der Bau einer Fabrik für Batterien zum Antrieb von Elektroautos besiegelt, ein Meilenstein für Spanien und seine potente Automobilindustrie. Doch kein einziger Vertreter der geschäftsführenden katalanischen Regierung wohnte dem Festakt bei, aus Protest gegen die Anwesenheit des Königs.

Boykott bei Seat

Die Abwesenheit der katalanischen Autoritäten sei „lächerlich“ und nicht zu rechtfertigen, wetterte der Präsident des größten Arbeitgeberverbandes Foment del Treball, Josep Sánchez Llibre. Schließlich gehe es „um das wohl bedeutendste Industrieprojekt Kataloniens“.

Doch das Unabhängigkeitsthema, und damit Gesten wie der Boykott des Monarchen, überschatten die Verhandlungen für eine Neuauflage der Koalition. Die Separatisten eint derzeit lediglich das Ziel der Abspaltung. Doch während JxC weiterhin auf harte Konfrontation mit Madrid setzt, würde ERC die Unabhängigkeitsfrage lieber erst einmal ruhen lassen. Allerdings benötigen die Separatisten zur Mehrheit im Parlament auch noch die Stimmen der radikalen, antikapitalistischen CUP.

Das ist ein weiteres rotes Tuch für die Unternehmer. Die CUP weigerte sich, die Randale und Verwüstung am Rande von Protesten wegen der Inhaftierung eines Rappers in den letzten Wochen in Barcelona zu verurteilen. Die Antikapitalisten schoben die Schuld für die Ausschreitungen auf das Vorgehen der Polizei und ernteten dafür von Kataloniens Präsident Pere Aragonés die Zusage, die Sicherheitskräfte zu reformieren. Für die Wirtschaftsverbände ist das Image von Katalonien und Barcelona mittlerweile „so tief gesunken wie noch nie“.