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Kein Ritterschlag für Chinas Wirtschaftspolitiker

Börsen-Zeitung, 16.10.2015 Im Jahr 2016 jährt sich der Beitritt der Volksrepublik China zur WTO zum 15. Mal. In Peking glaubt man, dass zu diesem Anlass die EU dem Land den Status einer Marktwirtschaft gewähren müsse. Die EU soll formal feststellen,...

Kein Ritterschlag für Chinas Wirtschaftspolitiker

Im Jahr 2016 jährt sich der Beitritt der Volksrepublik China zur WTO zum 15. Mal. In Peking glaubt man, dass zu diesem Anlass die EU dem Land den Status einer Marktwirtschaft gewähren müsse. Die EU soll formal feststellen, dass die chinesische Volkswirtschaft gemäß den Gesetzen freier, wettbewerblicher Märkte operiert und der Staat sich auf eine rahmengebende, regulierende Rolle zurückgezogen hat.Die Gewährung dieses Status hätte einschneidende Folgen für die Behandlung von Handelsstreitigkeiten. Bei der Bewertung von Dumping-Vorwürfen gegen chinesische Exporteure könnte die EU nicht mehr auf Preisstrukturen in – definitiv marktwirtschaftlich organisierten – Vergleichsländern zurückgreifen, sondern müsste die ausgewiesenen chinesischen Preise als gegeben hinnehmen. Die Feststellung von Dumping-Verstößen wäre faktisch nicht mehr möglich.Nun mag jeder, der in und mit China geschäftlich zu tun hat, gerne attestieren, dass dort auf Märkten Preise ermittelt werden und kompromisslose Gewinnmaximierung offensichtlich einen hohen unternehmerischen Wert darstellt. Das so gezeichnete Bild eines chinesischen Kapitalismus trifft aber nur die halbe Wahrheit. Märkte bestimmen das ökonomische Geschehen lediglich auf einer oberflächlichen Ebene. Die grundlegenden strategischen und strukturbildenden Entscheidungen, wie auch wichtige Eckpreise der Volkswirtschaft werden jenseits von Märkten getroffen. Sie entstehen unter unmittelbarer Kontrolle und Steuerung der Regierung, das heißt der Kommunistischen Partei.Die steuernde Hand des Staates manifestiert sich auf verschiedenen Ebenen. Eine der offensichtlichsten ist dabei wahrscheinlich die der chinesischen Fünfjahrespläne. 2016 beginnt eine neue Planungsperiode. Das “13. Programm zur ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung (2016 – 2020)” wird schnell in diversen Übersetzungen verfügbar sein – und dann dem Leser wenig mehr offenbaren als vage Visionen und allgemeine Leitideen. Steuerung über DetailpläneDie Wahrheit liegt auch hier unter der Oberfläche. Unterhalb dieses öffentlich zugänglichen Zentraldokuments existieren tausende von Detailplänen, die auf der Ebene lokaler Regierungseinheiten, funktionaler Bürokratien, sektoraler und industrieller Sektoren sowie spezifischer Sonderthemen über mehrere Hierarchiestufen hinweg klare Ziele und Vorgaben aufstellen. Das an der deutschen Strategie der Industrie 4.0 angelehnte Prgramm “Made in China 2025” fällt im Übrigen in das gleiche Muster. Auch hier existiert ein recht unverfänglicher, der breiten Öffentlichkeit zugänglicher Masterplan. Hinter diesem aber steht ein großer Komplex von nicht frei einsehbaren Detailplänen, deren Inhalte dem Prinzip frei wettbewerbsgesteuerter Märkte klar zuwiderlaufen.Sehr viel bedeutsamer ist darüber hinaus die jenseits von formalen Planungen und diskretionären Staatseingriffen allgegenwärtige Kollusion zwischen staatlichen Regulierern und zu regulierenden Unternehmen. Das obere Management der die chinesische Volkswirtschaft dominierenden Unternehmen, seien dies Staats- oder Privatbetriebe, ist bei der Kommunistischen Partei kooptiert beziehungsweise sucht deren Nähe. Top-Manager in chinesischen Staatsbetrieben sind in der Regel gleichzeitig mit führenden Funktionen in Parteigremien betraut und wechseln zwischen unternehmerischen Funktionen sowie solchen in lokalen Regierungsorganisationen hin und her.Im Ergebnis ist so eine homogene politökonomische Elite entstanden, in der unternehmerische Ziele und strategische Planungen von Partei und Regierung als im Einklang stehend begriffen werden. Ein Widerstreit zwischen ökonomischer und politischer Sphäre, zwischen Regulierten und Regulierern besteht zumeist nicht. Beide sind eins. Nicht kompatibel mit EuropaAls Folge dieser Verquickung existieren Unternehmen, die sich nicht wie Unternehmen auf wettbewerbsgesteuerten Märkten verhalten, und Regierungen, die nach Gutdünken in unternehmerische Entscheidungsspielräume eingreifen. Manifestation dessen sind Zwangsfusionen (aktuell in der Aluminiumindustrie), Zwangskartelle (Stahlindustrie), verschleppte Konkursverfahren und massive Überkapazitäten (Automobilindustrie, Glas, Fotovoltaik, Zement etc.) ebenso wie langfristig verzerrte Austauschrelationen.Die Preise für Kapital, Landnutzungsrechte, Energie, zahlreiche Rohstoffe und vieles mehr liegen in China deutlich unter ihren wahren Knappheitswerten und verzerren somit die strukturelle Ausrichtung der Volkswirtschaft. Unternehmerische Leistungsfähigkeit ist in diesem Umfeld nicht das entscheidende Kriterium für den Erfolg, da Wettbewerb nur in nachgeordneten Arenen stattfindet. Diese Konstitution der chinesischen Volkswirtschaft macht sie auf einer grundlegenden Ebene inkompatibel mit der europäischen Wirtschaftsordnung.Notwendig ist daher ein ordnungspolitischer Filter, der eine Eins-zu-eins-Übertragung verzerrter Preisen nach Europa verhindert. Notwendig ist die Existenz eines Mechanismus, der derartige Verzerrungen entdecken und mittels Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen neutralisieren kann. Das hat nichts mit Protektionismus zu tun. Vielmehr kann nur so sichergestellt werden, dass Wettbewerb funktioniert, leistungsstarke Unternehmen nicht durch künstlich gestützte Akteure verdrängt und für alle Beteiligten Wohlfahrt geschaffen werden kann.Ein Verzicht Europas auf die Möglichkeit, eine Ausbreitung der im chinesischen Wirtschaftssystem generierten Preisverzerrungen zu verhindern, gefährdet die Funktionsfähigkeit der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Daher: Kein Marktwirtschaftsstatus für China! Chinas Wirtschaftspolitiker haben sich den Ritterschlag noch nicht verdient.—-Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls Ostasienwirtschaft/ China an der Universität Duisburg-Essen.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Markus TaubeChina sollte nicht der Marktwirtschafts-Status verliehen werden – dies würde nur die Ausbreitung von Preisverzerrungen fördern.——-