LEITARTIKEL

Klare Ansage

China ist die mit Abstand am kräftigsten wachsende große Volkswirtschaft auf dem Erdball, doch wird sie an den Finanzmärkten als das Sorgenkind par excellence angesehen. Die Furcht vor einer harten Landung Chinas hat der Sorge um die Konsequenzen...

Klare Ansage

China ist die mit Abstand am kräftigsten wachsende große Volkswirtschaft auf dem Erdball, doch wird sie an den Finanzmärkten als das Sorgenkind par excellence angesehen. Die Furcht vor einer harten Landung Chinas hat der Sorge um die Konsequenzen der US-Zinswende längst den Rang als Lieblingsgruselthema an den Märkten abgelaufen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ganz uninteressant, was Premierminister Li Keqiang als oberster Wirtschaftsverantwortlicher im Reich der Mitte zu diesem Thema zu sagen hat.Der am Mittwoch erfolgte Schlussakt des chinesischen Volkskongresses ist genau die richtige Gelegenheit dazu, denn nur einmal im Jahr bietet sich der heimischen wie auch internationalen Presse die Chance, einen chinesischen Regierungschef in einer Fragestunde Rede und Antwort stehen zu lassen. Auch wurde nun auf dem Volkskongress Chinas neuer Fünfjahresplan für die Periode von 2016 bis 2020 verabschiedet. Er soll die Marschrichtung für die strategische Lenkung der mittlerweile weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft vorgeben.Li hat die angenehme Angewohnheit, auch tendenziell unangenehme Fragen, die in das Herzen der chinesischen Wirtschaftsproblematik treffen, zuzulassen und diese – zumindest im Vergleich zu einigen seiner Amtsvorgänger – sehr präzise, schnörkellos und durchaus gehaltvoll zu beantworten. Gibt es eine Wechselwirkung beziehungsweise den berühmten “Trade-off” zwischen dem Tempo, mit dem China bereit und in der Lage ist, marktorientierte Reformen und Liberalisierungsschritte durchzuführen, und der Wachstumsgeschwindigkeit der Wirtschaft in der kurzen wie auch langen Frist? Oder anders gefragt, kann China das von der Regierung jetzt bekräftigte Ziel eines Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von durchschnittlich mindestens 6,5 % per annum im Zeitraum des neuen Fünfjahresplans tatsächlich durchhalten und gleichzeitig Strukturreformen vorantreiben, von denen man annehmen muss, dass sie mit heftigen Einschnitten bei Staatsunternehmen im Allgemeinen und bei von Überkapazität geprägten Sektoren im Besonderen verbunden sind?Es geht um die klassische Gretchenfrage für Chinas Wirtschaftslenker, und Li hat sie vielleicht einen Schnaps offensiver beantwortet, als man erwarten konnte. Der Premierminister mag keinen Widerspruch darin sehen, dass harte Reformschritte und ein anhaltend hohes Wachstumstempo Hand in Hand gehen können, und er versicherte, dass China keine harte Landung bevorstehe. So weit, so vorhersehbar. Mit Strukturreformen ließen sich Märkte vitalisieren und auch das Wirtschaftswachstum unterstützen, verbreitet Li eine Sichtweise, die etwa Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble voll und ganz unterstützen würde. Ob das ausreicht, das zuletzt für das Jahr 2015 auf 6,9 % und damit auf das niedrigste Niveau seit 25 Jahren gedrosselte BIP-Expansionstempo binnen der nächsten fünf Jahre über 6,5 % zu halten, ist in der Lesart Pekings aber nicht wirklich mehr eine Frage. Obwohl China Strukturreformen weiter forcieren werde, sei es “schlichtweg unmöglich”, dass China sein relativ ambitioniertes Wachstumsziel verpassen werde, so der Originalton des Premiers, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss.Nachdem Staatspräsident und Parteichef Xi Jinping die unmissverständliche Losung von mindestens 6,5 % Wachstum in den kommenden Jahren ausgegeben hat, gibt es kein Zurück mehr. Die Sorgen, dass Chinas Wirtschaftswachstums beziehungsweise das offiziell gezeigte BIP in den kommenden Jahren stark abbröckeln wird, machen vor diesem Hintergrund keinen Sinn. China hat noch reichliche geldpolitische und vor allem fiskalpolitische Spielräume, um auch bei einem weiteren Dynamikverlust der Industrieproduktion und des Außenhandels über die Schiene der Anlageinvestitionen das Wirtschaftswachstums soweit anzuregen, dass man das vorgeschriebene Tempo nicht unterschreitet.Es ist keineswegs gesagt, dass das Aufrechterhalten des Wachstumsziels mit dem Verzicht auf Reformen oder ihrem Verschleppen erkauft werden muss. Die Risiken und Nebenwirkungen des chinesischen Wachstumsversprechens liegen weniger darin, dass marktorientierte Reformen daran glauben müssen, sondern dass es zu wilden Ausschlägen und Spekulationsblasen bei Aktien, Anleihen, Schattenbankkrediten, Vermögensverwaltungsprodukten und natürlich Immobilien kommt. Der Preis für ein stabiles Wachstum im Reich der Mitte ist im Zweifelsfall die erhöhte Instabilität des Finanzsystems.——–Von Norbert HellmannChina gibt mit dem neuen Fünfjahresplan ein eindeutiges Wachstumsversprechen. Dessen Einhaltung bringt aber einige Risiken und Nebenwirkungen mit sich.——-