KONJUNKTUR UND POLITIK

Klima versus Corona

Der Kampf gegen die Pandemie überschattet den Kampf gegen die Erderwärmung. Doch der Klimawandel macht keine Pause - und Wirtschaftswachstum und Umweltschutz müssen sich nicht widersprechen.

Klima versus Corona

Das Jahr 2020 hätte das Jahr des Klimaschutzes werden können. Die Aktivisten von Fridays for Future und anderer Klimaschutz-Organisationen schienen das Momentum auf ihrer Seite zu haben. Eine derartige Medienpräsenz hatte das Thema selten zuvor. Im Dezember 2019 stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Green New Deal für Europa vor. Alles schien die Weichen zu stellen für den Weg in eine grünere Zukunft. Doch dann kam Corona.Die Pandemie überlagerte monatelang alle anderen Themen. Das dringlichste Problem war seit dem Frühjahr die Bewältigung der Pandemie mit ihren verheerenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Zwar sank durch die Coronakrise und die weitreichenden Beschränkungen für das wirtschaftliche und soziale Leben der CO2-Ausstoß weltweit so deutlich wie nie zuvor (siehe Grafik). Weniger Konsum, Reisen und eine gedrosselte Produktion senkten die Treibhausgasemissionen. Auf der anderen Seite jedoch war nun nicht länger der Klimaschutz, der es im vergangenen Jahr nach ganz oben auf den Prioritätenlisten vieler Entscheider geschafft hatte, Thema Nummer 1, sondern die Corona-Pandemie.Die Lösungen beider Krisen scheinen sich zu widersprechen. Wie sollen Konsum und Industrieproduktion angekurbelt werden, ohne die CO2-Emissionen wieder in die Höhe schnellen zu lassen? Was zunächst wie ein Dilemma klingt, stellt aber tatsächlich eine echte Chance dar. “Beide Krisen sind für schutzbedürftige Menschen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt am verheerendsten. Und beide bestrafen Nationen für mangelnde Vorbereitung und Kurzsichtigkeit”, schreibt Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), in einem Blog-Eintrag. Der große Unterschied zwischen beiden Krisen: Die Coronakrise ist akut, so dass die Schmerzgrenze bereits erreicht ist, um zu handeln. Doch den Fehler des zu langen Zögerns sollte die Staatengemeinschaft beim Klimawandel nicht wiederholen.Zahlreiche Regierungen berücksichtigen den Klimaschutz etwa beim Schnüren ihrer Konjunkturpakete – so werden die Auszahlung von Beihilfen und Krediten an entsprechende Kriterien geknüpft und nachhaltigen Akteuren Steuervorteile gewährt. Die Europäische Union will in den kommenden Jahren 550 Mrd. Euro für Klimaschutzprojekte bereitstellen. Schwellenländer wie Ägypten und Indonesien geben grüne Anleihen aus. Es wird an vielen Ecken verbessert, doch es ist nicht genug.Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellt in ihrer jüngsten Länderanalyse fest, dass viele Staaten die Coronakrise nutzten, um bereits beschlossene Klimaschutz-Maßnahmen wieder zu kassieren. Ihr Argument: In einer derartigen Krise können wir uns den Luxus des Klimaschutzes nicht leisten. Zwei Klimaschutz-MantrasIn diesem Spannungsverhältnis bemühen Klimaschützer gerne zwei Mantras. Zum einen verursache der Klimawandel den weitaus größeren Schaden als die aktuelle wirtschaftliche Krise. Zum anderen gelte es für jeden Einzelnen, sein Bestes zu tun, um die Erderwärmung aufzuhalten. Tatsächlich gibt es neben den Haushalten zwei Ebenen, auf denen es Corona- und Klimakrise gleichzeitig zu bekämpfen gilt: den Staat sowie die Unternehmen und Investoren.Anstatt Verbote auszusprechen, sollte der Staat die richtigen Anreize setzen, um Verhaltensänderungen auf den beiden anderen Ebenen zu erreichen. Die EU macht vor, wie sich Klimaschutz und Coronabekämpfung auf einen Nenner bringen lassen. Rund 30 % der bereitgestellten Mittel fließen in den Klimaschutz, die Auszahlung von finanziellen Hilfen wird an das Erreichen der gemeinsamen Klimaziele geknüpft und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nutzte trotz des enormen politischen Drucks etwa aus Ungarn und Polen die Coronakrise nicht, um vom ambitionierten Green Deal abzurücken. Dadurch “kann die EU der Welt zeigen, wie sie zu Klimaneutralität und Klimaresilienz gelangen und gleichzeitig Wohlstand und Gerechtigkeit gewährleisten kann”, lobte António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, in einer vielbeachteten Rede Ende November. Laut dem UN-Generalsekretär gelingt es der EU auf diese Weise, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, innerhalb derer Unternehmen ihren Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit bestreiten – und das ohne weitreichende Job- oder Wachstumseinbußen. Auf ein ähnliches Konzept – allerdings in einer weitaus staatsinvasiveren Volkswirtschaft – setzt auch China. Im aktuellen Fünfjahresplan ist die Klimaneutralität bis 2060 festgeschrieben. Die Ziele, die sich die kommunistische Führung in Peking gesteckt hat, gehen deutlich über ihre Zusagen im Pariser Klimaabkommen von 2015 hinaus.Felix Brill, Chief Investment Officer der VP Bank, mahnt allerdings an: “Der Staat alleine wird es nicht schaffen.” Es brauche auch engagierte Unternehmer, Investoren und Haushalte. Ein Entweder-oder muss in jedem Fall nicht sein. Klimaschutz ist nicht gleichzusetzen mit sinkendem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit. Das beweist ein Blick auf die Unternehmenslandschaft. “In allen Sektoren finden sich ehrgeizige richtungsweisende Unternehmen, die sich für den Klimaschutz einsetzen und ihr Geschäftsmodell am 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der globalen Erwärmung ausrichten”, sagt Coline Pavot, Leiterin des ESG-Research bei der französischen Fondsgesellschaft LFDE. Diese gilt es zu fördern – gerade auch von Seiten der Investoren. Auch bei Investments abseits der Energiebranche gelte es, die nachhaltige Ausrichtung zu berücksichtigen.Der Boom, den die erneuerbaren Energien in den vergangenen zehn Jahren erlebt haben, hat bewiesen, dass es sich lohnt, in diese Branche zu investieren. Umweltschädliches Verhalten wird zudem aufgrund sinkender Grenzwerte und steigender Preise für Emissionsrechte immer teurer. “Gerade jetzt steigen die Gewinne aus grünen Investments und die Kosten fallen”, analysiert IWF-Direktorin Georgiewa. Gleichzeitig dürfe man aber die Akteure nicht aus den Augen verlieren, die noch auf fossile Energieträger setzten. Stattdessen sollten Investoren diese auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen.Von Anna Steiner, Frankfurt