Koalition bringt umstrittenes Gesetz auf die Kette
sp Berlin
Die große Koalition hat auf den letzten Metern der Legislaturperiode doch noch eine Einigung zum Lieferkettengesetz erzielt und will das umstrittene Gesetzesvorhaben Anfang Juni über die Ziellinie im Bundestag bringen. Zuvor mussten sich die Spitzen der Koalitionsfraktionen von Union und SPD allerdings noch in der Frage der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen bei Verstößen gegen die im Lieferkettengesetz festgelegten Pflichten zusammenraufen. Hier hatten CDU/CSU vor zwei Wochen weiteren Gesprächsbedarf angemeldet – woraufhin das Gesetz, das große Unternehmen in Deutschland ab 2023 verpflichtet, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ihren Zulieferern vorzugehen, kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags gestrichen wurde.
„Wir haben uns auf Klarstellungen verständigt, die allen Beteiligten mehr Rechtssicherheit geben“, sagte Unionsvizefraktionschef Hermann Gröhe (CDU) am Donnerstag zufrieden. „Es ist sichergestellt, dass eine Verletzung dieser Pflichten nicht zu einer zusätzlichen zivilrechtlichen Haftung führt“, sagte er. Damit ist der Weg frei, noch vor der Sommerpause „eines der schwierigsten und wichtigsten Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode über die Ziellinie“ zu bringen, wie SPD-Vizefraktionschefin Katja Mast erklärte.
An einem Beschluss vor der heißen Phase des Wahlkampfs zur Bundestagswahl dürfte den Koalitionspartnern auch deshalb gelegen sein, weil sie den Grünen sonst eine weitere Vorlage liefern würden. Den jetzt gefundenen Kompromiss könnten die Grünen dennoch nutzen. „Wenn es jetzt nur ein Gesetz ohne zivilrechtliche Haftung geben kann, gibt es besser gar keines“, erklärte Uwe Kekeritz, der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen, bereits vor knapp sechs Monaten, als Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) um das Lieferkettengesetz rangen.
Wirtschaft erneuert Kritik
In der Wirtschaft stößt das Gesetz weiter auf Ablehnung. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) erkannte in einer ersten Reaktion am Donnerstag zwar an, dass bei der zivilrechtlichen Haftung „eine wichtige Begrenzung vorgenommen“ worden sei, die negative Auswirkungen auf Lieferketten und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Schwellenländern abmildern könne. Das Gesetz bleibe dennoch „überregulierend und überflüssig“, betonten die Arbeitgeber.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erneuerte nach den letzten Änderungen am Gesetz ebenfalls seine Kritik. „Es ist bedauerlich, dass die Politik versucht, ein gutes Ziel mit einem schlecht gemachten Gesetz zu erreichen“, erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Die geplanten Vorschriften stellten insbesondere mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen. „Es bleibt für die Unternehmen eine bürokratische Zumutung, zumal nicht eindeutig definiert ist, wie sie die Sorgfaltspflicht ausreichend erfüllen können“, monierte der Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Von Gewerkschaftsseite kam hingegen Applaus. Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, rief den Bundestag auf, das Gesetz nun umgehend zu verabschieden.
Gröhe und Mast verwiesen darauf, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes nun auch auf unselbständige Niederlassungen ausländischer Konzerne in Deutschland ausgeweitet werde, sofern sie die im Gesetz definierte Mitarbeiterzahl erreichen. Ab 2023 gelten die Bestimmungen für Konzerne mit jeweils mehr als 3000 Mitarbeitern. Das sind nach Angaben aus der Koalition durch die jetzige Ausweitung über 925 Betriebe. Ab 2024 sollen auch Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten einbezogen werden, was rund 4800 Firmen wären. Bei Verfehlungen drohen Bußgelder von bis zu 2% des jährlichen Umsatzes. Nach Angaben aus der SPD wurden auch die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten nochmals ausgeweitet. Deutschland bekomme das stärkste Lieferkettengesetz in Europa, sagte Mast.