LEITARTIKEL

Koalition wider Willen

Als Liebesheirat startet die wiederaufgelegte große Koalition in Deutschland nicht gerade, wenn Angela Merkel heute zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird. Ihre Wahl gilt als sicher - gestützt von drei...

Koalition wider Willen

Als Liebesheirat startet die wiederaufgelegte große Koalition in Deutschland nicht gerade, wenn Angela Merkel heute zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird. Ihre Wahl gilt als sicher – gestützt von drei demokratisch gut verankerten Parteien. CDU, CSU und SPD bieten Bürgern und Wirtschaft in Deutschland, aber auch in Europa politische Kalkulierbarkeit – ein Wert, der selbst in der westlichen Welt nicht mehr sicher ist, seit Selbstdarsteller, Komiker und Nationalisten in mancher politischen Führung den Ton angeben. Liebesheiraten sind eine recht neue Erfindung. Ihre Haltbarkeit hat sich als begrenzt erwiesen. Vernunftehen wie die von Schwarz-Rot sind in der Politik dagegen nicht die schlechteste aller Konstellationen für eine ohnehin auf Zeit angelegte Verbindung. So hat die Prognose des designierten Vizekanzlers Olaf Scholz (SPD), Union und SPD seien auch ohne Liebesheirat “trotzdem in der Lage, ordentlich zu regieren”, durchaus Chancen, Realität zu werden. Mit Scholz agiert für die SPD-Spitze im Kabinett nun eine Führungspersönlichkeit, die Merkel in Sachen Besonnenheit und Nüchternheit in nichts nachsteht. Auf mitreißende Auftritte und furiose Reden wie die eines Emmanuel Macron in Frankreich werden die Deutschen verzichten müssen. Solide politische Arbeit können sie dagegen erwarten. Durchhalten muss diese Koalition noch dazu. Für alle drei Parteien, die in der Bundestagswahl Federn gelassen haben, bietet nur eine überzeugende Regierungsarbeit die Möglichkeit, wieder Stimmen hinzuzugewinnen. Streit mögen Wähler nicht, das haben die quälenden Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik gezeigt. Auch der weitere Verfall der Umfragewerte für die SPD durch deren Führungskrise nach der Bundestagswahl zeigt dies eindrücklich. Vorgezogene Neuwahlen, wenn das Bündnis zerbricht, würden aus heutiger Sicht allen Beteiligten schaden. Sechs Monate haben die Parteien damit vertan, die Macht neu zu ordnen. Nun muss das Regieren zügig losgehen. Zur ersten Nagelprobe wird die Verabschiedung des Bundeshaushalts 2018. Den Entwurf hat der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch im Sommer vorgelegt. Der Bundestag hat das Zahlenwerk – wie es in einem Wahljahr üblich ist – nicht verabschiedet, damit die neue Regierung nach der Wahl ihre Akzente setzen kann. Die schwarze Null ist, anders als es manche Konservativen befürchten und manche Sozialdemokraten herbeiwünschen, nicht in Gefahr, nur weil der Bundesfinanzminister Olaf Scholz heißt und ein SPD-Parteibuch hat. Der Koalitionsvertrag gilt für alle Beteiligten. Das Vertragswerk schließt das Bekenntnis zur schwarzen Null ein. Es war Scholz selbst, der an die Vorgaben der noch jungen Schuldenbremse im Grundgesetz und in den Landesverfassungen erinnerte. Allesamt hat sie die SPD mitgetragen. Die Neujustierung des Haushaltsentwurfs für 2018 zwingt das neue Regierungsbündnis, Farbe zu bekennen. Projekte müssen konkret benannt und finanziell unterlegt werden. Der Koalitionsvertrag lässt eine klare Linie vermissen und viel Interpretationsspielraum zu. Er ist ein Sammelsurium von Wünschen, Absichten und Versprechen, die sich an den Gemeinsamkeiten in den Wahlprogrammen orientieren, aber wenig Perspektive aufzeigen, wohin die Reise gehen soll. Globalisierung und Digitalisierung verändern die Gesellschaft heute so sehr wie einst die Industrialisierung die Welt. Antworten von Schwarz-Rot dazu stehen indessen aus. Schlagworte wie Bildung und Digitalisierung beherrschen den Koalitionsvertrag. Dem Volk suggeriert das neue Regierungsbündnis wirtschaftliche Sicherheit durch Wohltaten wie das Versprechen einer Mütter- und Grundrente, eines stabilen Rentenniveaus bis 2025 oder eines Baukindergeldes. Für die wunderbare Geldvermehrung sollen vor allem die Sozialkassen und ihre Beitragszahler sorgen – zum Teil auch die Steuerzahler. Viele Fragen dazu sind noch offen, Schecks ungedeckt. Scholz wird um die schwarze Null kämpfen müssen. Für die Wirtschaft, die ein wichtiger Partner für das zentrale Versprechen der Union ist, bis zum Jahr 2025 für Vollbeschäftigung zu sorgen, hat die schwarz-rote Koalition indessen wenig übrig. Die Unternehmen stören eher bei verteilungspolitischen Überlegungen. Statt der Wirtschaft mehr Lasten aufzubürden, etwa bei Sozialbeiträgen, sollte die Koalition den Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland richten. Seit einer Dekade ist die Unternehmensbesteuerung unverändert. Auch dort dreht sich die Welt schneller, als mancher es wahrhaben will. Stillstand schadet nur. —-Von Angela WefersDer Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot lässt eine klare Linie vermissen und viel Interpretationsspielraum zu.—-