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Kohlekommission kämpft um Ausstiegsdatum

Börsen-Zeitung, 22.8.2018 cru Düsseldorf - Vor zwei Monaten hat sich die Kohlekommission der Bundesregierung zum ersten Mal getroffen. Am morgigen Donnerstag (23. August) ist es wieder so weit: Die 31 Mitglieder des Gremiums aus Politik, Wirtschaft,...

Kohlekommission kämpft um Ausstiegsdatum

cru Düsseldorf – Vor zwei Monaten hat sich die Kohlekommission der Bundesregierung zum ersten Mal getroffen. Am morgigen Donnerstag (23. August) ist es wieder so weit: Die 31 Mitglieder des Gremiums aus Politik, Wirtschaft, Industrie, Gewerkschaften und Wissenschaft suchen nach einem Datum für das Aus der letzten Kohlekraftwerke. Die Interessen werden heftig kollidieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vorab Forderungen nach einem schnellen Ausstieg zurückgewiesen. “Die Prämisse, unter der die Kommission arbeitet, heißt: Erst Zukunftschancen, dann die Frage, wann wird ausgestiegen aus der Braunkohle”, sagte Merkel in Dresden.Die Kommission hat sich daher schon zuvor in zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt – eine konzentriert sich auf Perspektiven für neue Beschäftigungschancen in den Braunkohleregionen im Rheinischen Revier und in der Lausitz, die andere auf den Zeitplan für das Abschalten der Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke. Laut Commerzbank-Analystin Tanja Markloff steht die Steinkohle für 24 % der konventionellen Erzeugungskapazitäten in Deutschland, die Braunkohle für 20 %.Den ersten Kommentaren der Mitglieder zufolge wird sich die Kommission voraussichtlich nicht für ein abruptes Ende der Kohle entscheiden, wie es bei der Atomkraft mit dem im Jahr 2011 festgelegten Ausstiegsdatum 2022 der Fall war. Wahrscheinlicher ist laut Commerzbank ein schrittweiser Ausstieg “bis circa 2045”, flankiert von Ausgleichszahlungen an die betroffenen Regionen.Zuletzt hatte das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik eine Studie vorgelegt, dass Deutschland ohne höhere Energiekosten oder Gefahr für die Stromversorgung schneller aus der Braunkohle aussteigen könnte. So könnten die nationalen Klimaschutzziele 2020 noch erreicht werden, wenn Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 7,4 Gigawatt stillgelegt und weitere Kraftwerke in ihrer jährlichen Leistung um 6 Gigawatt gedrosselt werden. RWE hält dagegen: Laut einer vom Konzern bestellten Studie sorgt ein Kohleausstieg bis 2040 für einen Strompreisanstieg um 20 %, der die energieintensive Industrie gefährdet. Bundesländer bremsenVor der morgigen Kommissionssitzung reagierten die sechs betroffenen Bundesländer alarmiert. Die Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg forderten, die Folgen für Versorgungssicherheit und Strompreise stärker zu berücksichtigen. Ein vorzeitiger Kohleausstieg schade der energieintensiven Industrie. “Die sichere Versorgung dieser Unternehmen zu international wettbewerbsfähigen Preisen entscheidet über bundesweit mehr als 800 000 Arbeitsplätze, ein Drittel davon in Nordrhein-Westfalen”, betonte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart.Die große Koalition hatte allerdings schon zuvor ein verbindliches nationales Klimaschutzziel 2020 – nämlich die Reduktion um 40 % gegenüber 1990 – auf Druck der Braunkohleländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen abgeschwächt. CDU, CSU und SPD bekennen sich zwar im Koalitionsvertrag zu den Zielen für 2020, 2030 (Reduktion um 55 %) und 2050. Aber in der Passage zum ausschließlich national definierten Ziel 2020 heißt es nur, die Koalition wolle die “Handlungslücke beim Klimaschutz bis 2020 verkleinern”.Die Kohlekommission soll die Einzelheiten dazu festlegen. Bis Oktober sollen erste Vorschläge vorliegen, bis Ende 2018 eine Gesamtlösung, die dann Anfang 2019 in Gesetzesform gegossen werden soll. Aus Sicht von RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz ist der Zeitplan “viel zu eng”. Die Formel für den Erfolg der Energiewende sei aber einfach: “Erneuerbare und Netze konsequent ausbauen. Je eher das gelingt, desto schneller wird die Kohle über den Markt aus dem System gedrängt.”Der Kapitalmarkt rechnet derweil mit tiefen Schnitten: “Wir erwarten, dass sich die Kommission auf die am meisten verschmutzenden und ältesten Braun- und Steinkohlekraftwerke konzentriert”, schreibt Commerzbank-Analystin Markloff in ihrer Einschätzung für institutionelle Investoren. Um die Beschäftigungseffekte gering zu halten, könnte die Kommission die schon bestehende Braunkohlereserve ausweiten. Bisher ist geplant, dass um 2018 herum 2,7 Gigawatt in die Reserve übergehen und bis 2023 abgeschaltet werden. Die Commerzbank lehnt sich an die Prognose der Übertragungsnetzbetreiber an. “Szenario B” zufolge wird bis 2030 die Hälfte der deutschen Kohlekraftwerke abgeschaltet. Greenpeace fordert TempoGreenpeace – die Umweltorganisation ist in der Kommission vertreten – fordert mit Blick auf die Fraunhofer-Studie, schneller als geplant und ohne Entschädigungszahlungen aus der Braunkohle auszusteigen. So wäre es allein durch die Abschaltung und Drosselung von Braunkohlekraftwerken bei abnehmendem Stromexport möglich, die nötigen zusätzlichen 98 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. “Deutschland kann bis 2020 seine Emissionen um 40 % senken”, sagt Greenpeace-Energieexpertin Anike Peters.