Konjunkturampel signalisiert anhaltenden Aufschwung
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Die deutsche Wirtschaft ist ein Spielball der Corona-Pandemie, und daran wird sich auch so bald nichts ändern. Viel hängt davon ab, wie die Menschen, aber auch die Politik weiterhin agieren – insbesondere mit Blick auf die Sommerferien, die nun in sämtlichen Bundesländern laufen. Bislang lässt sich festhalten, dass mit den Lockerungen und den rückläufigen Infektionszahlen das Geschäft der Dienstleister kräftig angezogen hat, während die Industrie unter den anhaltenden Materialknappheiten ächzt. Der Schwung wird im laufenden Quartal noch anhalten, und Ökonomen sind für das Gesamtjahr optimistisch. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Konjunkturampel, die das Prognoseinstitut Kiel Economics für die Börsen-Zeitung berechnet. Sie steht für das laufende Jahr auf Grün (siehe Grafik), wobei der sich abzeichnende Fachkräftemangel für Ungemach sorgen könnte.
Institutsleiter Carsten-Patrick Meier erwartet, dass sich die Erholung „in der zweiten Jahreshälfte aller Voraussicht nach durchaus fortsetzen wird“. Ein äußerst kraftvoller Aufschwung sei allerdings unter den gegebenen Bedingungen nicht sehr wahrscheinlich. Im zweiten Quartal war die Wirtschaft einer ersten Schnellmeldung des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge um 1,5% gewachsen, nachdem sie zu Jahresbeginn mit 2,1% etwas kräftiger als mit den bislang gemeldeten –1,8% eingebrochen war (siehe Bericht oben). Denn derzeit ist die vierte Ansteckungswelle mit dem Coronavirus in vollem Gang. Die Inzidenzraten steigen hierzulande, zumeist exponentiell. Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Sieben-Tage-Inzidenz von 16,5. Am Donnerstag lag der Wert noch bei 16,0. Angesichts der derzeit erreichten Impfquote in der Bevölkerung von gut 50% vollständig und weiteren 10% zumindest einmal Geimpften könnten Politiker bei ihren weiteren Entscheidungen dem Bild des sprichwörtlichen halb vollen oder halb leeren Glases folgen.
Im ersten Fall, so Meier, werde ein erneuter Lockdown aller Voraussicht nach nicht notwendig sein, da die Intensivpflegekapazitäten in den Krankenhäusern auch bei einem Anstieg der Einlieferungen von schweren Verläufen ausreichen könnten. Zumal in der besonders durch das Virus gefährdeten Altersgruppe der Über-60-Jährigen die Impfquote jenseits von drei Vierteln liege. Im zweiten Fall werde man darauf aufmerksam machen, dass eine Verschärfung der Auflagen nach dem Sommer sehr wahrscheinlich und eine echte Normalisierung immer noch in weiter Ferne sei. Viele Politiker reden bereits wieder über neue Beschränkungen. Argumente sind die deutlich zutage tretende Impfmüdigkeit sowie ein hoher Anteil an Impfverweigerern in der Bevölkerung. Die für eine Herdenimmunität notwendige Impfquote von 80% kann so möglicherweise überhaupt nicht erreicht werden. Auch macht sich wieder eine gewisse Sorglosigkeit in der Bevölkerung breit, während gleichzeitig von den Reiserückkehrern ebenfalls ein gewisses Risiko ausgeht.
Dementsprechend ist für die nächsten Monate im Dienstleistungssektor und im Handel eher wieder mit einem Rückgang der Aktivität zu rechnen, warnt Meier. In diese Richtung zeigen etwa die Umfragen zum Geschäftsklima im Dienstleistungssektor, die für Juli eine Verbesserung der Geschäftslage bei gleichzeitiger Eintrübung der Geschäftserwartungen ergaben. Dass kurzfristig nicht mit der Rückkehr zu den üblichen Konsumgewohnheiten zu rechnen ist, leitet Meier aus der jüngsten GfK-Konsumklimastudie ab: Im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau ist die Neigung zur Anschaffung langlebiger Konsumgüter immer noch deutlich vermindert.
Industrie ist Sorgenkind
Konjunkturelles Sorgenkind ist aktuell die Industrie, die unter Materialengpässen insbesondere bei Vorprodukten und Kostensteigerungen leidet. Von der Schwäche, die schon 2018 eingesetzt hat, wird sie sich wohl vorerst nicht vollständig erholen können. Im Zentrum der Schwierigkeiten steht die Automobilindustrie, wo der Umstieg auf den Elektroantrieb und die damit verbundenen weitreichenden Umstrukturierungen in vollem Gang ist. Aber auch in anderen Branchen stehen Veränderungen an. Zur Mitte des zweiten Quartals lag die Produktion im produzierenden Gewerbe noch um 6% unter dem Stand vor dem Einsetzen der Pandemie und um 12% unter dem Stand des letzten zyklischen Hochpunkts Mitte 2018. Schuld daran ist Meier zufolge allerdings kein Nachfragemangel, sondern es sind angebotsseitige Faktoren. Denn zur gleichen Zeit übertraf der Auftragseingang seinen Vor-Pandemie-Stand um 7%, und der Auftragsbestand war im Juni sogar höher als im vorangegangenen Zyklushochpunkt.
Die Ifo-Umfragen liefern nun erstmals systematische Daten zu den Produktionshemmnissen: Im Juli waren mehr als drei von vier Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes betroffen, in den Investitions- und Gebrauchsgütersparten waren es sogar fünf von sechs. Ausschlaggebend ist der Mangel an Rohstoffen, Vorprodukten und Materialien aller Art – von Bauholz bis zu Halbleitern –, von denen sich zwei Drittel der gesamten Industrieunternehmen und drei Viertel der Investitions- und Gebrauchsgüterhersteller betroffen sehen. Materialknappheiten in dieser Größenordnung gab es in der seit 1983 laufenden Umfrage noch nie – „sie mögen eher schon an eine Zentralverwaltungswirtschaft erinnern“, kommentierte Meier.
Spürbar an Bedeutung gewinnt aber auch wieder der Arbeits- und Fachkräftemangel, der im zurückliegenden Aufschwung der maßgebliche Hinderungsgrund für eine Produktionsausweitung war. Die aktuell knapp 27% der davon betroffenen Industrieunternehmen entsprechen laut Meier einem Niveau wie zum Hochpunkt des vorangegangenen Zyklus. Während die Materialengpässe mittelfristig überwunden werden dürften, könne sich die Arbeitskräfteknappheit zum Hemmschuh für den gesamten Aufschwung entwickeln, mahnte Meier. Dies gelte umso mehr, wenn Arbeitnehmer bei einem weitgehend gelockerten öffentlichen Leben, aber nur teilweise durchgeimpfter Bevölkerung aus Sorge vor einer Ansteckung vermehrt nicht homeofficefähigen Arbeitsplätzen fernblieben.