Konjunkturampel springt auf Gelb

Rezessionsgefahr für Deutschland steigt - Geschäftserwartungen werden immer uneinheitlicher beurteilt

Konjunkturampel springt auf Gelb

Die deutsche Wirtschaft ist knapp an der technischen Rezession vorbeigeschrammt und kommt auch zum Jahreswechsel nicht so recht in Fahrt – die Konjunkturampel von Kiel Economics ist nun wieder von Grün auf Gelb umgesprungen.ba Frankfurt – Die Weltkonjunktur steht derzeit am Scheideweg: Zwar ist es noch keine ausgemachte Sache, dass es kräftig abwärtsgeht, doch die Rezessionsgefahr ist im vergangenen Vierteljahr deutlich gestiegen. Dies zeigt sich in der aktuellen Konjunkturampel von Kiel Economics, die für Deutschland und die USA nun wieder von Grün auf Gelb umgesprungen ist.Hierzulande gilt vor allem die schwächelnde Industrie als Sorgenkind der Wirtschaft. So könnte das verarbeitende Gewerbe nun das dritte Vierteljahr in Folge das gesamtwirtschaftliche Wachstum dämpfen, warnt etwa die Bundesbank in ihrem gestern veröffentlichten Monatsbericht März. Im zweiten Halbjahr 2018 war die deutsche Wirtschaft nur knapp an der technischen Rezession vorbeigeschrammt – per Definition liegt diese bei zwei Quartalen mit auch nur leicht negativer Wirtschaftsentwicklung vor. Im dritten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,2 % geschrumpft, im Schlussabschnitt hatte es dann stagniert. Ursächlich waren neben den Risiken aus den schwelenden Handelskonflikten, dem Brexit und der schwächeren globalen Konjunktur die Produktionsrückgänge der Autoindustrie infolge des neuen Abgasprüfverfahrens WLTP sowie ein Streik in einem Motorenwerk in Ungarn. Politische Zahl”Die ,schwarze Null’, die das Statistische Bundesamt für den Zuwachs des BIP veröffentlicht hat, ist angesichts der Ermessensspielräume bei der Schätzung der Wirtschaftsaktivität am aktuellen Rand natürlich eine politische Zahl – und dies nicht nur, weil sie wie üblich mit dem Bundeswirtschaftsministerium abgestimmt sein dürfte”, kommentiert Carsten-Patrick Meier, Chef von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Das Amt verschiebe damit Diskussionen über das R-Wort auf einen Zeitpunkt, wenn mehr Daten vorliegen, ohne die konjunkturelle Lage zu verharmlosen. Wiesbaden und Berlin hätten sachgerecht entschieden, denn auch wenn moderne Ökonomen lieber von Erwartungen als vom Seelenzustand sprächen, habe Alt-Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit seiner Aussage “Wirtschaft ist zu 50 % Psychologie” richtig gelegen, so Meier.Rein rechnerisch könnte das BIP nach den mauen Vorgaben des vergangenen Halbjahres im Jahresdurchschnitt schrumpfen, wenn es auch nur zu einem erneuten Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion in der Größenordnung des dritten Quartals sowie einer Stagnation im weiteren Jahresverlauf käme. Damit läge eine mit früheren Rezessionsphasen (2008/09, 2002/03, 1992/93, 1981/82, 1974/75 und 1966/67) vergleichbare gesamtwirtschaftliche Situation vor, auf welche die Konjunkturampel frühzeitig aufmerksam machen soll. Zwei Analysen, ein ErgebnisNach einem starken Produktionseinbruch im ersten Quartal sieht es laut Meier “allerdings nicht zwingend aus”. Laut Ifo-Geschäftsklimaindex wurde die aktuelle Lage im Januar und Februar erneut schlechter eingeschätzt, wohingegen sich die Eintrübung der Geschäftserwartungen im Februar nach fünf Rückgängen in Folge nicht fortgesetzt hat und die Exporterwartungen sogar leicht gestiegen sind (vgl. BZ vom 23. Februar). Zudem spreche einiges dafür, dass die Produktion im wichtigen Automobilsektor die Konjunkturlage dort unterschätze – Meier erwartet, dass die Produktionsausfälle noch aufgeholt werden. Das Geschäftsklima in der Bauwirtschaft hat sich zwar verschlechtert, wird angesichts rekordhoher Auftragsbestände von den Unternehmen aber weiter als sehr günstig beurteilt. Das Konsumklima ist weiter günstig, Einkommenserwartungen und Anschaffungsneigung sind auch wegen des ungebremsten Beschäftigungsaufbaus unverändert hoch (vgl. BZ vom 27. Februar).Vor dem Hintergrund dieser Datenlage findet es Meier bemerkenswert, dass die Konjunkturampel, in deren Berechnung keine “harten” Produktionsdaten eingehen – weder gesamtwirtschaftliche noch solche aus der Industrie – die Frage nach einer Rezession im laufenden Jahr mit ein klaren “Jein” beantwortet. “Mit einer geschätzten Rezessionswahrscheinlichkeit von 45 % steht sie auf einem satten, aber noch nicht ins Orange übergehenden Gelb”, konstatiert der Institutschef. Die etwa 50 Befragungs-, Finanz-, und Investitionsindikatoren, die zur Abbildung der Erwartungen der Akteure – ihrer “psychischen Lage” in Erhards Diktion – herangezogen werden, kommen seiner Einschätzung nach “offenbar zum selben Urteil wie die Analyse der Produktionsdaten: Die deutsche Wirtschaft kann 2019 in eine Rezession abdriften, es ist aber derzeit noch nicht entschieden, ob sie dies tut”.So wird der rote Bereich der Ampel, in dem die Rezessionswahrscheinlichkeiten 66 % und mehr betragen, von dem oberen 90-%-Konfidenzintervall für die mittlere Rezessionswahrscheinlichkeit nur knapp touchiert, während das untere Konfidenzintervall klar in den grünen Bereich hineinragt (siehe Grafik). In dieser Asymmetrie spiegelt sich, dass tatsächlich eine Reihe von Indikatoren die Rezessionswahrscheinlichkeit immer noch klar unter 30 % anzeigen, während nur wenige diese auf über 50 % taxieren.Auf die höchste Wahrscheinlichkeit einer Rezession im Jahr 2019 kommen Meier zufolge jene Größen, die die Unsicherheit abbilden – allen voran die Streuung der Geschäftserwartungen der Unternehmen, die sich durch das Auseinanderfallen der Anzahlen der “Besser”- und der “Schlechter”-Antworten in der Befragung messen lässt (siehe Grafik). Noch im Mai 2018 waren sich die Umfrageteilnehmer hinsichtlich der Geschäftserwartungen “einig wie selten seit der letzten Rezession”, wenn sie auch bereits nicht mehr so überschäumend wie zur Jahreswende 2017/2018 waren. Beginnend mit Juni 2018 fielen die positiven und negativen Meldungen dann von Monat zu Monat immer stärker auseinander, wobei laut Meier das Timing darauf hindeutet, dass die Ursache maßgeblich in der Androhung höherer Zölle auf Autos durch die USA sowie der Eskalation des Handelsstreits der USA mit China zu suchen ist. Ein Tiefpunkt der Erwartungsunsicherheit, von dem aus diese dann sehr rasch stieg, habe sich vor vielen Rezessionen in Deutschland beobachten lassen. Entsprechend lege dieses Maß nahe, dass es mit relativ hoher Sicherheit zu einer Rezession kommen wird. Die meisten der übrigen Indikatoren teilen dieses Urteil jedoch nicht. Analoges Bild für die USAInteressanterweise kommt die Konjunkturampel für die USA zum nahezu gleichen Ergebnis wie die für Deutschland. Sie taxiert die Rezessionswahrscheinlichkeit dort gegenwärtig auf 43 %. Ein maßgeblicher Treiber bleibt dort die flache Zinsstrukturkurve. “Offenbar steht die Weltwirtschaft derzeit an einem Scheidepunkt. Es kann kräftig abwärtsgehen, doch noch ist nichts ausgemacht”, schließt Meier.