DAS KONJUNKTURTABLEAU VON ZEW UND BÖRSEN-ZEITUNG

Konjunkturzuversicht schwindet

Sorgen wegen Corona-Pandemie und Brexit-Ausgang lassen Prognosen für Deutschland sinken

Konjunkturzuversicht schwindet

Die anfängliche Hoffnung auf eine V-förmige Erholung der deutschen Wirtschaft mit einem heftigen Absturz in diesem und einem ebenso kräftigen Comeback im nächsten Jahr wird kleiner. Das zeigt die Auswertung der Median-Prognosen im Konjunkturtableau von ZEW und Börsen-Zeitung.Von Alexandra Baude, FrankfurtOhne Zweifel wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr in die kräftigste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg rutschen. Die Voraussagen zu deren Ausmaß werden laut ZEW-Experte Michael Schröder von Monat zu Monat pessimistischer. Gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt die Medianprognose inzwischen – 6,4 % (siehe Tabelle). Im Mai lag sie bei – 5,4 %, im April bei – 4,2 %. “Diese ernüchternden Aussichten könnten in den kommenden Monaten durchaus noch weiter nach unten korrigiert werden”, mahnt Schröder.Viel hängt am weiteren Verlauf der Corona-Pandemie und der erfolgreichen Entwicklung eines Impfstoffs. Fraglich ist, wie sich die Liquiditätssituation der Unternehmen entwickelt, an der wiederum die Investitionen hängen. Die vorerst bis September ausgesetzte Insolvenzantragspflicht lässt für den Herbst eine Insolvenzwelle vermuten – auch an dieser wird sich zeigen, wie viele der derzeit von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer letztlich doch ihren Job verlieren. Wer Angst um seinen Job hat oder wegen der Kurzarbeit Einkommenseinbußen hat, wird derzeit vor größeren Anschaffungen zurückschrecken. Die jüngsten Ankündigungen von Unternehmen wie Airbus oder der Commerzbank, hierzulande Jobs im mittleren vierstelligen Bereich streichen zu wollen, sind nur zwei – wenn auch markante – Beispiele, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht so schnell bessern wird. Die im Konjunkturtableau eingestellten Prognosen einer Arbeitslosenquote von 6,1 (zuvor: 5,5) % für 2020 und 2021 liegen in etwa auf dem Niveau von 2016. Aktuell beträgt die Arbeitslosenquote allerdings 6,2 % (vgl. BZ vom 2. Juli), und Ökonomen sehen den Höhepunkt nicht erreicht.Der Konsum privater Haushalte wird sich zwar erneut als zuverlässige Wachstumsstütze erweisen, aber Vorsicht: Die Einzelhandelsumsätze mögen im Mai überraschend kräftig um 13,9 % zum Vormonat gestiegen sein, doch werden diese Daten oftmals deutlich revidiert. Zudem werden wegen des Lockdowns ausgefallene Freizeitaktivitäten wie Restaurant-, Bar-, Theater- oder Konzertbesuche sowie Urlaubsreisen nicht in vollem Umfang nachgeholt werden. Einen weiteren Hinweis auf das Verbraucherverhalten geben am Freitag veröffentlichte Daten des Statistikamts Eurostat, wenn auch nur mit Blick auf den Euroraum. So ist die Sparquote der privaten Haushalte im Euroraum im ersten Quartal, in dem die Mitgliedstaaten mit dem Lockdown begannen, auf ein Allzeithoch von 16,9 % geklettert. Der Anstieg von 4,2 Prozentpunkten ist zudem der kräftigste seit Beginn der Datenreihe im Jahr 1999. Ursächlich ist den Statistikern zufolge der Rückgang der individuellen Konsumausgaben um 4,0 %. Und auch die Investitionsquote ist um 0,4 Punkte auf 8,7 % im Quartalsvergleich gesunken. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Unternehmen im Euroraum: Die Investitionen sind im ersten Quartal leicht um 0,3 Punkte auf 25,5 % gefallen, der Rückgang der Gewinnquote um 1,7 Punkte auf 37,9 % ist ebenfalls der kräftigste je gemessene.Nach einem sprunghaften Anstieg der Sparquote hierzulande während des Lockdowns berichten die Nürnberger Marktforscher der GfK mittlerweile von einer rückläufigen Tendenz. Einen positiven Impuls dürfte die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer geben, wie die “Wirtschaftsweisen” zuletzt sagten – unabhängig davon, ob die Unternehmen sie an die Verbraucher weitergeben. Allerdings könnte sie auch dafür sorgen, dass geplante Anschaffungen bloß vorgezogen werden. Das V verliert die FormVon der Annahme, dass 2021 der Rückgang der Wirtschaftsleistung großteils ausgleichen wird, rücken die Auguren jedenfalls zunehmend ab. Im Mai lagen die Median-Prognosen für das reale BIP 2020 und 2021 bei – 4,2 % und + 4,8 %. Im Juni blieb es zwar bei einem V-förmigen Konjunkturverlauf, allerdings mit größeren Ausschlägen: Prognostiziert wurden – 5,4 % und + 5,2 %. Die Juli-Prognosen gehen nun von – 6,4 % und 4,7 % aus – der hintere Teil des V flacht erkennbar ab. Angst vor FehlsignalenZEW-Experte Schröder macht vor allem zwei Faktoren als Ursache aus, dass die Hoffnung auf einen schnellen und nachhaltigen Aufholprozess im nächsten Jahr deutlich schwächer geworden ist. Speziell für das Eurogebiet und Deutschland ist dies das Wiederaufleben der Sorgen hinsichtlich eines harten Brexits. Am Donnerstag war eine weitere Verhandlungsrunde ergebnislos zu Ende gegangen. Zum anderen würden allmählich die erheblichen negativen Auswirkungen der Pandemie sichtbar, die praktisch alle Länder der Welt betreffen. “In einigen Ländern zeigen sich Anzeichen einer ,zweiten Welle’, die zu einer Verzögerung eines erhofften schnellen Aufholprozesses führen kann”, mahnt Schröder. In Bezug auf die USA wachse die Sorge, dass die Pandemie ihren Höhepunkt längst nicht erreicht hat, verbunden mit der Befürchtung, dass die Anzeichen einer leichten wirtschaftlichen Erholung sich als Fehlsignal herausstellen könnten.