ZUR LAGE DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT - IM INTERVIEW: LARS FELD

"Konsum und Investitionen könnten den Aufschwung 2021 tragen"

Der Chef der Wirtschaftsweisen über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft und die von der Bundesregierung gesetzten Impulse

"Konsum und Investitionen könnten den Aufschwung 2021 tragen"

Herr Professor Feld, die deutsche Wirtschaft kommt wohl etwas besser durch die Coronakrise als befürchtet, zugleich nehmen aber die Sorgen zu, dass die Erholung nur sehr schleppend vonstattengehen wird. Ist das Glas halb voll oder halb leer?Es ist zu früh, dies jetzt beurteilen zu wollen. Erste Prognosen deuten sogar darauf hin, dass der Wirtschaftseinbruch aufgrund der Coronakrise für das gesamte Jahr 2020 geringer sein könnte als in der Finanzkrise. Aber die Unsicherheit ist weiterhin hoch. Ich bin jedenfalls froh, dass der Sachverständigenrat mit seinem Sondergutachten in verschiedenen Szenarien und in der Prognose vom Juni einen Rahmen abgesteckt hat, der Horrorvorstellungen von minus 20 % als völlig überzogen entlarvte. Damals erschienen wir zu optimistisch, jetzt eher als zu vorsichtig. Ich kann ganz gut damit leben. Was stimmt Sie optimistisch in Sachen Aufschwung? Ist die Hoffnung vieler Ökonomen berechtigt, dass der private Konsum 2021 das Wachstum trägt?Vor allem muss man anerkennen, dass die expansive Fiskal- und Geldpolitik in der Krise wichtige Impulse setzt. Ich habe zudem den Eindruck, dass verschiedene Branchen die schon vor der Krise bestehenden strukturellen Herausforderungen aktiv annehmen. Dann ist es nicht allein der private Konsum, sondern es sind die privaten Investitionen, die den Aufschwung im nächsten Jahr tragen könnten. Insgesamt kann es gut sein, dass Deutschland mit einer höheren Wettbewerbsfähigkeit aus der Krise herauskommt. Und wo sehen Sie aktuell die größten Risiken?Derzeit liegt das größte Risiko weiterhin in einem zu dynamischen Anstieg der Infektionszahlen, obwohl viel dafür spricht, dass ein zweiter Lockdown verhindert werden kann, entweder weil er nicht nötig wird oder weil wir aus der ersten Infektionswelle die richtigen Lehren gezogen haben. Weiterhin besteht ein hohes Risiko in der außenwirtschaftlichen Entwicklung. Spanien und Frankreich erleben gerade die zweite Infektionswelle, und es ist noch unklar, was die wirtschaftlichen Auswirkungen sind. In den USA hatte die zweite Welle aber relativ geringe wirtschaftliche Effekte. Eine verbreitete große Sorge ist jene vor einer wahren Welle an Firmenpleiten. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein solches Szenario?Die Insolvenzentwicklung lässt sich nur sehr schwer abschätzen, vor allem weil Echtzeitdaten fehlen und Verzerrungen angesichts der reduzierten Tätigkeit der Gerichte bestehen. Da der mit Abstand wichtigste Insolvenzgrund die Zahlungsunfähigkeit ist, könnte man zuversichtlich sein, dass die massive Liquiditätszufuhr durch die Fiskal- und Geldpolitik zu weniger Insolvenzen führt. Hinzu kommt die gute Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes. Eine regionale oder branchenspezifische Massierung von Insolvenzen kann aber durchaus zu Problemen führen. Von einer Welle würde ich jedenfalls derzeit nicht reden. Der Arbeitsmarkt ist bislang vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen – nicht zuletzt durch das Kurzarbeitergeld. Befürchten Sie, dass es noch zu einer Entlassungswelle kommt, wenn die Krise länger anhält oder die Erholung schwach bleibt?Hier ist das Wellenbild ebenfalls problematisch. Ich erwarte eine weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit und denke, dass wir nicht ganz so glimpflich davonkommen werden wie in der Finanzkrise. Aber gleichwohl gehe ich nicht von dramatischen Entwicklungen oder gar einer Massenarbeitslosigkeit aus. Die Bundesregierung hat das Kurzarbeitergeld verlängert und will etwa den Zugang zu Überbrückungshilfen erleichtern. Ist das richtig oder besteht die Gefahr, dass die Politik mit ihren fortgesetzten Maßnahmen “Zombie-Firmen” am Leben hält und eine nötige Marktbereinigung und Neuausrichtung der Wirtschaft verhindert?Das Kurzarbeitergeld hat in solchen Krisen eine wichtige Funktion. Es verhindert Arbeitslosigkeit und hält die Arbeitnehmer in den Unternehmen. Das ist für beide Seiten gut, da der Einkommensausfall gering bleibt und Fachkräfte den Unternehmen erhalten bleiben. Je länger Kurzarbeitergeld gewährt wird, umso wahrscheinlicher wird jedoch eine Verzögerung des Strukturwandels. Hier geht es vor allem um coronabedingten Strukturwandel, denn die Krise macht zuvor tragfähige Geschäftsmodelle obsolet. Braucht die deutsche Wirtschaft grundsätzlich ein neues “Geschäftsmodell” – weg von der starken Abhängigkeit vom Exportgeschäft?Diese Einschätzung teile ich nicht. Was ist schon das Geschäftsmodell einer ganzen Volkswirtschaft? Die Wirtschafts- und Finanzpolitik muss darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Arbeitnehmer erhalten bleibt. Die Politik kann zwar mit ihren konjunkturpolitischen Maßnahmen der Wirtschaft helfen, die akuten Probleme leichter zu überwinden. Das enthebt sie aber nicht, mittelfristig auf produktivitätserhöhende Maßnahmen zu setzen. Es gilt vor allem, die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu steigern. Wie und wie schnell sollte nach Überwindung der Krise die stark gestiegene Staatsverschuldung abgebaut werden? Braucht es dafür Steuererhöhungen?Ab dem Jahr 2022 sollte die Finanzpolitik wieder allmählich zur Regeldefizitgrenze der Schuldenbremse zurückkehren. Das wird aus verschiedenen Gründen nicht in einem Schlag erforderlich sein. Die Konsolidierung muss in allererster Linie über ein wieder höheres Wirtschaftswachstum gelingen. In der mittleren Frist gilt es, das Wachstum der Staatsausgaben geringer ausfallen zu lassen als das Wirtschaftswachstum. Ausgabenkontrolle ist das Stichwort. Dann dürften keine Steuererhöhungen notwendig sein. Einige Experten raten dazu, Staatsschulden als gar nicht mehr so problematisch anzusehen, und einige reden auch einer expliziten Staatsfinanzierung durch die Notenbanken das Wort. Wie beurteilen Sie solche Vorschläge?Ich halte davon nichts. Die Finanzpolitik nur am Vergleich von Zins und Wirtschaftswachstum zu orientieren, ist zu kurz gesprungen. Es kommt genauso auf die Höhe der Staatsverschuldung sowie die Struktur von Ausgaben und Einnahmen an. Die Einschätzung auf den Finanzmärkten kann sich schnell drehen. Schließlich trügt die Hoffnung, dass Inflation ein Phänomen von gestern sei. Zurzeit bereitet mir die Preisentwicklung keine Sorgen. Aber niemand kann garantieren, dass die Inflation und die Zinsen auf lange Sicht niedrig bleiben. Die Europäische Zentralbank (EZB) unterstützt mit ihrer ultralockeren Geldpolitik die Krisenpolitik auch der Bundesregierung und scheint gar auf eine weitere Lockerung zuzusteuern. Wäre das angemessen oder übertrieben?Die EZB wird dies vor dem Hintergrund der Preisentwicklung, der Inflationserwartungen und der Wirtschaftsentwicklung einschätzen. Ich bin zuversichtlich, dass sie die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt ergreift. Natürlich entlastet die expansive Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten die Geldpolitik in nennenswertem Maße. Die Fragen stellte Mark Schrörs.