Kryptogeld könnte sich als Spekulationsblase erweisen
Kryptogeld könnte sich als Spekulationsblase erweisen
Historischer Vergleich lässt Ähnlichkeiten erkennen – Influencer setzen mit ihrem erfolgreichen Investment Kaufanreiz
Kryptogeld oder Spekulationsblase – historisch gesehen gibt es zahlreiche Parallelen: Etwa die Versprechen spektakulärer Renditen, die Erfolge der frühen Marktteilnehmer die jeweils die Influencer ihrer Zeit waren. Das Angebot trifft jeweils auf Anleger, die sich wenig für die Substanz des Anlagegeschäfts interessieren.
In den vergangenen Jahren wurden wir vielfach über Online-Angebote von Sportstars, Modeikonen oder auch Social-Media-Influencern zum Kauf einer neuen Kryptowährung oder zur Nutzung der entsprechenden Plattformen ermuntert oder sogar gedrängt. Die eindrücklichen Werbebotschaften stehen allerdings im Kontrast zu den spektakulären Zusammenbrüchen einiger Krypto-Einrichtungen in jüngerer Zeit.
Diese weckten eher Assoziationen an die Betrügermasche eines Charles Ponzi in den 1920er Jahren, so dass man die Pleiten und Verluste nicht nur als das übliche reinigende Gewitter in der anfänglichen Entwicklungsphase einer neuen transformativen Technologie wahrnimmt. Wenn vielen das Krypto-Phänomen allerdings beispiellos erscheint, so kann das damit zu tun haben, dass solche Blasen seltene Ereignisse sind, die im Laufe der Jahre oder Jahrzehnte vergessen werden. Eine Betrachtung, die das Phänomen der Krypto-Währung in eine historische Perspektive rückt, kann deshalb hilfreich sein. Sie legt sozusagen frei, was sich unter dem wabernden Schaum der Blase möglicherweise an Substanz verbirgt. Alle berühmt-berüchtigten Blasen – seien es die Mississippi-Blase von 1719/1720, die britische Eisenbahnmanie der 1840er Jahre oder die amerikanischen Immobilien- und Börsenbooms bzw. deren Zusammenbrüche während des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts – bieten nützliche Einblicke. Hier sei eine der ersten großen Spekulationsblasen der frühen Neuzeit beleuchtet, die alle wichtigen Merkmale aufweist, die Südseeblase von 1719/1720. Obwohl sie zeitlich weit zurück liegt, kann sie Anhaltspunkte für eine Interpretation der Herausforderung Kryptowährung bieten.
Investment oder Anklage?
Selbst die Kritiker der neuen Instrumente erkennen an, dass die neuen Technologien ein schnelleres und sichereres Vehikel für Geldtransfers und Zahlungen bieten können. Jedoch geben viel zu viele konkurrierende Unternehmen Versprechen für spektakuläre Renditen ab, die sie unmöglich alle miteinander erfüllen können. Der steile Erfolg hat die Schöpfer der Kryptowährung zu Medienstars gemacht, die ihrerseits berühmte und bekannte Persönlichkeiten ohne nennenswertes Verständnis für das Produkt, auf das sie das Interesse der breiteren Öffentlichkeit lenken sollen, eingespannt haben. Zwar sprechen einige Fundamentalwerte für die Kryptowährungen, aber es findet zugleich ein Ansturm naiver Anleger ohne Rücksicht auf die Bewertungsgrundlagen statt. Im Sinne der „Greater Fool Theory“ eröffnet der überstürzte Kauf von Vermögenswerten durch die größeren „Idioten“ den rational Handelnden die Möglichkeit, die Blase für sich zu nutzen, weil sich ein Weg bietet, die Vermögenswerte weiterzuverkaufen. Diese Logik heizt den Markt weiter an. Ein Preistreiber sind die Krypto-Banken, die es Spekulanten erlauben, Kredite aufzunehmen, um in Krypto zu investieren. Der Erfolg der frühen Marktteilnehmer zieht neue Unternehmen an, die die schrumpfende Zahl an „dummen Anlegern“ austrocknen und letztlich den Zusammenbruch der Preise auslösen werden. Einige Unternehmen kollabieren, was uns in die augenblickliche typische Zwickmühle bringt, ob man investieren oder besser Anklage erheben sollte.
Hoffnung auf Handel
Gibt es Parallelen zur „South Sea“-Blase? Diese entstand mit Gründung der South Sea Company während des Spanischen Erbfolgekriegs (1700 bis 1713), der die Ressourcen der europäischen Großmächte verschlang. Der Kriegsverlauf inspirierte abenteuerlustige Engländer zu der Annahme, es könne eine Niederlage der französisch-spanischen Allianz eintreten und sich in der Folge das riesige spanische Reich für englische Exporte öffnen. Insider in der britischen Politik sorgten dafür, dass der South Sea Company 1711 das Monopol auf diesen noch zu realisierenden Handel zugesichert wurde.
Wenn der Friedensschluss auch nicht zur erhofften Öffnung des spanischen Reichs führte, so ergab sich dennoch eine neue Perspektive für außerordentliche Gewinne. Hintergrund war, dass das britische Königreich eine große Last an Kriegsschulden angehäuft hatte, bestehend größtenteils aus Leibrenten, die an einzelne Personen gebunden waren. Die Krone zahlte auf diese altmodischen Instrumente einen hohen Zinssatz, während das Publikum darunter litt, dass sich die Wertpapiere angesichts ihrer Heterogenität schlecht handeln ließen. Die Südsee-Kompanie bot mit ihren Aktien ein überlegenes – liquides – Finanzinstrument, das für alle Parteien von Vorteil zu sein schien. Es schien für die Anleger attraktiv, illiquide Leibrenten gegen homogene Aktien der South Sea Company einzutauschen, die hohe Renditen versprachen, sollte der Handel mit Spanien eröffnet werden, während die Krone Erleichterung erfuhr, insofern sie der South Sea Company, die nun die Leibrenten hielt, einen niedrigeren Zinssatz zahlte. Dass die Umwandlung mit Leichtigkeit umgesetzt werden konnte, weckte den Appetit der Öffentlichkeit auf weitere Aktienemissionen. Zumal die Initiatoren dafür sorgten, dass die ersten Käufer, Mitglieder der königlichen Familie und des Adels – die Influencer der damaligen Zeit – stattliche Gewinne erzielten.
Scheitern scheinbar unmöglich
Wie konnte ein solches Unternehmen, dessen Gouverneur – wenn auch nur nominell – der englische König, Georg I., war, scheitern? Rational agierende Spekulanten der Hoare’s Bank, eines führenden privaten Finanzinstituts, bewerteten die Aussicht, dass die South Sea Company den Handel mit dem Spanischen Reich dominieren werde, zwar mit Skepsis, beteiligten sich aber mit Erfolg an der South-Sea-Welle und verkauften die Anteile zu hohen Preisen. Doch für viele war es ein gefährliches Unterfangen. So kaufte der berühmte Wissenschaftler und Leiter der königlichen Münzanstalt, Sir Isaac Newton, Aktien der South Sea Company und veräußerte sie zunächst mit Gewinn, ließ sich dann jedoch auf dem Höhepunkt der Marktentwicklung dazu verleiten, sein Glück ein weiteres Mal zu versuchen. Nach dem Absturz der Preise musste er mit großem Verlust verkaufen.
Der allgemeine Aufschwung aller Aktienkurse wurde eine Zeit lang von der Hollow Sword Blade Company getragen, die in das Hoheitsgebiet der Bank of England eindrang und sich zu einer bedeutenden Londoner Bank entwickelte, indem sie Wertpapierhändler mit margin loans versorgte. Die rasche Expansion dieser Kredite ließ jedoch ihre Goldreserven schrumpfen. Als die Einleger die Schwäche der Bank erkannten, setzte ein Run ein, der schließlich zum Zusammenbruch der Bank führte. Kreditnehmer sahen sich gezwungen, Aktien zu verkaufen, um ihre Kredite zurückzahlen zu können, und es entstand eine systemische Instabilität, die viele Bankhäuser ins Wanken brachte. Gleichzeitig tauchte eine Fülle neuer Aktiengesellschaften auf, die die Anleger animierten, in immer wildere Geschäftsmodelle zu investieren. Als dadurch die Nachfrage nach Südsee-Aktien nachließ, wirkten ihre Promotoren darauf hin, dass das Parlament 1720 den Bubble Act verabschiedete, der alle Aktiengesellschaften verbot, die nicht über eine Charta des Parlaments verfügten.
Die Überhitzung des Aktienmarkts war damit beendet und die Kurse kehrten auf den Boden der Tatsachen zurück. Bis dahin ähnelte die Geschichte der South Sea Company der der führenden Krypto-Unternehmen: Diese verkaufen eine transformative Innovation an Anleger, die sich wenig für die Substanz des Anlagegeschäfts interessieren. Sie setzen dafür auf gesellschaftlich zugkräftige Werbeträger und profitieren vom niedrigschwelligen Kreditangebot zur Finanzierung der Krypto-Käufe. Damit geht eine Flut an Neugründungen mit dürftiger Geschäftsgrundlage einher.
Aufspaltung als Lösung
Was lässt sich aber aus dem Nachspiel der South-Sea-Blase für die Zukunft der Kryptowährung ableiten? Die korrupten Regierungsbeamten, die als Insider an der Entstehung der Blase mitgewirkt hatten, wurden abgesetzt und inhaftiert. Ihr Vermögen wurde eingesetzt, um einige der Käufer von Aktien der South Sea Company zu entschädigen, aber viele andere blieben ohne jeden Ausgleich und waren geprellt, wenn nicht gar ruiniert. Noch aufschlussreicher ist in diesem Zusammenhang, dass man das Unternehmen in zwei Teile aufspaltete, von denen der eine in ein reines Handelsunternehmen umgegründet wurde und der andere, der grundsätzlich solide Teil, als „South Sea Fixed Interest Perpetual Three Percent Annuities“ weiterbestand. Letztere wurden zur Grundlage der 3-Prozent-Consols, der sogenannten „Gilts“, dem Finanzinstrument mit dem Ruf der sichersten Anleihe, dem Fundament der britischen Staatsfinanzen.
Machtwechsel als Folge
Die Geschichte gibt Anlass zu dem Gedankenspiel, ob das Krypto-Experiment nicht ganz ähnlich in der zukunftsweisenden Schaffung von digitaler Zentralbankwährung einerseits und einem Heer enttäuschter Investoren andererseits enden könnte? Ein solcher Ausgang könnte Verwerfungen in der Politik nach sich ziehen, ähnlich wie nach der South Sea-Blase, als die Öffentlichkeit, angeführt von wütenden Investoren, die Tories vertrieb und 1721 die Whigs an die Macht brachte, die die britische Politik für die nächsten zwanzig Jahre dominierten.