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Kurswechsel in Argentinien trifft Zentralbank

Von Andreas Fink, Buenos Aires Börsen-Zeitung, 4.1.2018 Im Kampf gegen die vielen Übel, die Argentiniens Wirtschaft plagen, verschob Präsident Mauricio Macri kurz vor Jahresende die Prioritäten. Sein Kabinettschef Marcos Peña sowie die für Haushalt...

Kurswechsel in Argentinien trifft Zentralbank

Von Andreas Fink, Buenos AiresIm Kampf gegen die vielen Übel, die Argentiniens Wirtschaft plagen, verschob Präsident Mauricio Macri kurz vor Jahresende die Prioritäten. Sein Kabinettschef Marcos Peña sowie die für Haushalt und Staatsfinanzen zuständigen Minister Nicolás Dujovne und Luis Caputo verkündeten kurz vor dem Jahreswechsel eine “Rekalibrierung” des Inflationszieles. Bislang hatte für 2018 eine Vorgabe von 8 % bis 12 % gegolten. Nun lautet die Richtmarke 15 %.Dieser neue Wert liegt nahe jener 17 %, die ursprünglich schon für 2017 angepeilt waren. Und er bewegt sich im Umfeld jener 16,3 %, die der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem Artikel-IV-Bericht kürzlich publiziert hatte. Im vergangenen Jahr betrug die Teuerung 24 %. Das sind 7 Prozentpunkte mehr als geplant. Bereits zum zweiten Mal wurde somit das Inflationsziel deutlich überschritten, 2016 standen 40 % zu Buche, 23 % waren nur anvisiert. Weil sich ein neuerliches Verpassen der Inflationsvorgabe in diesem Jahr abzeichnete, willigte Mauricio Macri nun ein, die Ziele den Realitäten anzunähern. Ohrfeige für SturzeneggerDass die neue Linie nicht im Gebäude der Zentralbank, sondern im Präsidentenpalast verkündet wurde, werten viele Beobachter als einen Hinweis darauf, wer künftig die Inflationskontrolle leiten wird. Allgemein wurde die Entscheidung als Ohrfeige für Zentralbankchef Federico Sturzenegger gewertet.Seit Monaten berichten die Medien über einen Konflikt zwischen Sturzenegger, der seine Inflationsziele mit Hilfe des Leitzinssatzes durchsetzen wollte, und Macris engstem Beraterteam um Kabinettschef Peña. Lange hatte Macri den 52-jährigen Ex-Harvard-Professor Sturzenegger gestützt, änderte aber offenbar seine Position, nachdem ein interner Bericht kürzlich davor gewarnt hatte, durch eine Fortsetzung der Hochzinspolitik das dringend notwendige Wachstum zu gefährden.Der Unmut über Sturzenegger war vor allem nach der Parlamentswahl im Oktober aufgekommen, in der die Regierung fast landesweit Rückendeckung bekam. Macris Team wollte den Rückenwind ausnutzen und schnell Subventionskürzungen umsetzen. Dabei war klar, dass neue Gebührenerhöhungen für Strom, Wasser und Gas die Preise in die Höhe treiben würden. Darum erhöhte Sturzenegger den Leitzins mehrmals. Im Laufe des Jahres hob die Zentralbank den Satz um insgesamt 400 Basispunkte auf zuletzt 28,75 % an.Mit seiner Absicht, dem Markt überschüssige Liquidität zu entziehen, bewirkte Sturzenegger jedoch vor allem, dass die Schatzbriefe der Zentralbank, die preisbereinigt bis zu 10 % Rendite abwarfen, zu Favoriten der Investoren wurden. Weil Anlagen in Lebacs um 8 Prozentpunkte höher rentierten als klassische Sparkonten, machten sich viele Experten gar Sorgen um die Zukunft des Banksystems. Bis Ende November gewährten Argentiniens Geldhäuser um 39 % mehr Darlehen als 2016, vor allem für den Wohnungsbau. Aber die Einlagen legten nur um 12 % zu. Die Vorahnungen einer Kreditkrise und deren Folgen für den Aufschwung waren für Macri nun offenbar erschreckender als die Aussicht auf ein weiteres Jahr mit hoher Inflation. Der IWF schätzt, dass Argentiniens Wirtschaft 2017 um 2,8 % wuchs, für 2018 hält der Fonds 2,5 % für möglich. Macri rechnet mit einer Ausweitung um 3,5 %, trotz aller Hemmnisse.Argentiniens Präsident weiß, dass die Volkswirtschaft seines Landes extrem anfällig ist für Schocks von außen. Sie ist bedroht von drei Seiten: Das Budgetdefizit von etwa 6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist die erste Gefahr. Die zweite ist die negative Außenbilanz, die etwa 25 Mrd. Dollar ausmacht, also etwa 4,5 % des BIP. Hier summieren sich ein Rekordfehlbetrag von etwa 9 Mrd. Dollar im Außenhandel und ein drastisches Tourismusdefizit. 2018 werden die Argentinier etwa 10,8 Mrd. Dollar mehr ins Ausland tragen, als internationale Besucher ins Land bringen. 5,2 Mrd. Dollar verschlingt der Schuldendienst.Die dritte Bedrohung ist die Inflationsrate. Dass die Preise in Argentinien in den vergangenen zwei Jahren schneller stiegen als die Wechselkurse, führte zu jener drastischen Überbewertung des Peso, die Importe ebenso provoziert wie den Shoppingtourismus. Die Überbewertung der argentinischen Währung, mitverursacht durch einströmende Kredit-Dollar sowie den Lebac-Carry-Trade, hat den exportorientierten Sektoren in Landwirtschaft und Industrie erhebliche Nachteile eingetragen. Diese dürften durch die Kurskorrektur gemindert werden. Unmittelbar nach Bekanntgabe des neuen Inflationszieles sprang der Dollarkurs auf fast 20 Peso, Anfang Dezember hatte er noch bei 17,50 gelegen. Zum Jahresschluss lag er bei 18,92 Peso, aber bis Ende 2018 erwartet die Mehrzahl der Analysten einen Wert um 21,50 Peso.Dass der Dollar die Hälfte seines Jahreszuwachses innerhalb der zurückliegenden zwei Wochen machte, nährt bei vielen Analysten die Befürchtung, dass der Handel, wie so oft, die Preise erhöhen könnte, auch für Produkte, die ohne importierte Bestandteile erzeugt werden. Jahrzehnte im Krisenmodus haben am Río de la Plata Unsitten gedeihen lassen, gegen die selbst weltweit erfolgreiche Gegenmittel nur begrenzte Wirkung entfalten. Diese Erkenntnis muss nun wohl auch Zentralbankchef Sturzenegger machen, der auf Journalistenfragen während der vergangenen Monate stets seinen Leitsatz wiederholt hatte: “Wer seine Ziele revidiert, der hat keine Ziele!” Einfluss auf ZinsgesprächeDass Sturzenegger nun auch noch dabeisitzen musste, als Haushaltsminister Dujovne die revidierten Ziele verkündete, hatte eine Tragik in sich, die womöglich weit über den persönlichen Aspekt hinaus wirksam werden könnte. Der Autonomie-Verlust seiner Zentralbank könnte Argentinien auf den Finanzmärkten in Zukunft teuer zu stehen kommen. Finanzminister Caputo verkündete, in diesem Jahr etwa 30 Mrd. Dollar neue Schulden aufnehmen zu wollen. Bei den Zinsverhandlungen wird er erfahren, wie der neue Kurs ankommt.