IM INTERVIEW: ENZO WEBER, IAB

"Kurzarbeit allein wird nicht reichen"

Der Arbeitsmarktexperte über das Ausmaß der Krise

"Kurzarbeit allein wird nicht reichen"

Enzo Weber leitet beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Abteilung Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen. Der Konjunkturexperte sieht in der Coronakrise “mehrere neuartige Herausforderungen” für den bislang so robusten Arbeitsmarkt – und hält weitergehende Hilfen für notwendig. Herr Professor Weber, Ausmaß und Folgen der Coronakrise sind beispiellos. Wie heftig werden die Verwerfungen am Arbeitsmarkt?Wir stehen zumindest im ersten Halbjahr vor einer schweren Rezession. Schon die Störung der Lieferketten, die absackende Exportnachfrage, der Ausfall von Arbeitsstunden und eine Dämpfung der Investitionen hätten eine Rezession bewirkt. Aber dass die Wirtschaftstätigkeit in den von den Eindämmungsmaßnahmen betroffenen Bereichen fast vollständig ausfällt, ist ein neuartiges Phänomen. Das stellt auch den Arbeitsmarkt vor immense Herausforderungen. Bislang galt der robuste Arbeitsmarkt als entkoppelt von der schwachen Wirtschaftsentwicklung. Gilt das noch in so einer fundamentalen Krise?Unser Arbeitsmarkt ist gegenüber konjunkturellen Schwankungen in der Tat viel robuster als früher. Fachkräfte sind in vielen Bereichen knapp geworden, man sichert sich die Leute. Das wird auch jetzt helfen. Allerdings nur, wenn wir zu massiven Stützungsmaßnahmen greifen. Ein insolventer Betrieb kann auch seine Beschäftigten nicht mehr halten. Die Bundesregierung erwartet mehr als 2 Millionen Anträge auf Kurzarbeit. Wie lange reichen die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit (BA) von 26 Mrd. Euro?Das IAB und die Bundesagentur für Arbeit haben gegenüber der Politik lange auf hinreichende Rücklagen im BA-Haushalt gedrungen. 0,65 % des BIP ist die mittlerweile auch Gesetzeslage gewordene Empfehlung. Dieser Wert ist derzeit sogar überschritten, die BA ist finanziell also gut vorbereitet. Wenn das Virus eingedämmt werden kann und die akute Phase der wirtschaftlichen Totalausfälle nicht zum Dauerzustand wird, werden die Puffer reichen. Gewerkschaften und Gastgewerbe fordern, das Kurzarbeitergeld temporär aufzustocken. Die Arbeitgeber sollen dafür auf einen Teil der erstatteten Sozialversicherungsbeiträge verzichten. Wäre das der Krise angemessen?In dieser Rezession geht es nicht wie sonst vorwiegend um Beschäftigte in der Industrie mit hohem Lohnniveau. In Branchen wie Gastronomie und Einzelhandel kann man bei einer Absenkung des Gehaltsniveaus auf 60 % in Bedrängnis geraten. Viele Betriebe, die mit vollständigen Ertragsausfällen konfrontiert sind, werden eine Aufstockung aber nicht leisten können. Wer benötigt besonderen Schutz?Es gibt mehrere neuartige Herausforderungen. Vielen kleinen Betrieben und Selbständigen brechen durch die Krise die Einnahmen weg. Minijobs werden stark betroffen sein, beispielsweise in Bereichen wie Handel und Gastronomie. Das ist untypisch, normalerweise geht es in Rezessionen viel eher um Vollzeitstellen in der Industrie. Jetzt sollte Kurzarbeit vorübergehend auch für Minijobber ermöglicht werden. Menschen, die zum Beispiel wegen der Kinderbetreuung ihrer Arbeit zeitweise nicht nachgehen können, brauchen eine garantierte Lohnfortzahlung. Das könnten die Krankenkassen übernehmen, der Bund könnte die Kosten erstatten. Die Leistungen der Grundsicherung müssen problemlos gewährt werden, da sind richtige Schritte auf dem Weg. Die Bundesregierung will das Kurzarbeitergeld ausweiten. Wird das genügen?Das Kurzarbeitergeld hat sich gerade in Zeiten schwerer externer und vorübergehender Schocks als probates Mittel erwiesen. Kurzarbeit allein wird in der bevorstehenden Rezession aber nicht reichen. Betriebe haben neben Lohnzahlungen, die durch das Kurzarbeitergeld abgedeckt werden können, viele weitere laufende Kosten. Wenn die Erträge zeitweise bis zu 100 % ausfallen, wird es daher ohne eine direkte finanzielle Stützung nicht gehen. Und auch Neueinstellungen müssen wir unterstützen, für den Arbeitsmarkt ist das genauso wichtig wie Entlassungen zu vermeiden. Die US-Regierung will Schecks an ihre Bürger ausstellen. Ist das hierzulande auch denkbar, um in Not geratenen Beschäftigten, aber vor allem Selbständigen und Kleinunternehmern zu helfen?Die Bundesregierung hat umfangreiche Kreditprogramme für die betroffenen Firmen beschlossen. Das sind richtige Schritte. Ab einer bestimmten Dimension der Krise muss man aber mit anderen Maßstäben messen, dann ist eine Rückzahlung durch viele kleine und mittlere Betriebe wie auch Selbständige nicht mehr realistisch. Eine Überschuldung würde zusätzlich die Gläubiger, also die Banken, in Bedrängnis bringen. Dann muss es also um Zuschüsse gehen. Oder bei großen Firmen kann mit vorübergehenden staatlichen Beteiligungen geholfen werden. Liquiditätshilfen und Überbrückungskrediten zum Trotz: Wie lange halten Selbständige durch, wenn die Umsätze von heute auf morgen auf null fallen?Es gibt sehr verschiedene Selbständige, die Bandbreite der Einkommen ist immens. Aber viele Soloselbständige mit geringen Verdiensten haben keine großen finanziellen Puffer. Es muss uns klar sein, dass man hier mit normalen Kreditinstrumenten nicht weit kommt. In vielen Fällen wird es vorübergehend um die Absicherung der gesamten Existenz gehen. Wo immer möglich, wechseln Firmen ins Home-Office. Welcher Anteil an Arbeit und Wertschöpfung lässt sich überhaupt in Heimarbeit verlagern?Wenn man auf empirische Auswertungen aus der Vergangenheit schaut, dann lässt sich zwar ein durchaus relevanter Teil der Jobs von zu Hause aus erledigen, aber deutlich weniger als die Hälfte. Die Maßstäbe, was hier möglich ist, verschieben sich zwar gerade. In vielen Bereichen wird zurzeit unter Hochdruck daran gearbeitet, Digitalkapazitäten zu erweitern und Arbeit anders zu organisieren. Gerade in weiten Teilen der Grundversorgung oder in der Güterproduktion wird das aber natürlich nicht möglich sein. Sind bleibende Schäden für den Arbeitsmarkt zu befürchten?Gehen wir davon aus, dass die Viruseindämmung gelingt und sich die Zeit der wirtschaftlichen Totalausfälle nicht über viele Monate hinzieht, dann ist es möglich, dass sich Konjunktur und Arbeitsmarkt im Anschluss auch relativ schnell wieder erholen – eine massive Stützung der Betriebe vorausgesetzt. Wenn die Krise systemisch wird, auf Banken und Finanzmärkte übergreift oder nach dem öffentlichen Leben auch die Produktion für einen längeren Zeitraum stillgelegt wird, steigen die Herausforderungen jedoch exponentiell. Irgendwann geraten auch Staaten finanziell an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. In einem solchen Fall müsste die EZB noch massiver eingreifen als mit Anleihekäufen am Sekundärmarkt. Die Fragen stellte Stefan Reccius.