Labour plant Übergangsregierung
bet London – Im Angesicht eines chaotischen Austritts aus der EU schmiedet die britische Opposition Pläne, dem neuen Premierminister Boris Johnson die Macht zu entreißen. Jeremy Corbyn, der Chef der Labour-Partei, hat sich als Führer einer Übergangsregierung ins Spiel gebracht. In einem Brief an Vertreter der übrigen Parteien kündigte er an, nach Ende der Sommerpause im Unterhaus einen Misstrauensantrag gegen Johnsons Regierung zu stellen, sofern die Erfolgsaussichten ausreichend sind. Das könnte frühestens Anfang September geschehen.Sollte die Regierung unterliegen, will Corbyn als Chef der größten Oppositionspartei auch die anschließende Übergangsregierung leiten, um in Brüssel um einen Aufschub des EU-Austritts zu bitten und so den Ende Oktober drohenden No-Deal-Brexit abzuwenden. Nach Corbyns Plan soll es daraufhin Neuwahlen geben. Dabei werde Labour sich für ein zweites Brexit-Referendum aussprechen, bei dem auch der Verbleib im Staatenbündnis eine Option sein werde, heißt es in dem Brief.Die Idee einer Übergangsregierung zur Verhinderung des chaotischen Brexit wird schon seit einer Weile diskutiert. Der Grund ist, dass Premierminister Johnson im Streit mit der EU keine Verhandlungsversuche unternimmt. Ihm wird unterstellt, den ungeregelten EU-Austritt als eigentliches Ziel zu verfolgen. Aufgrund der potenziell sehr schädlichen Folgen für die Wirtschaft gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die Opposition versuchen wird, dies zu verhindern. Dabei kann sie im Prinzip auf Stimmen von Abweichlern aus den Reihen der Konservativen Partei zählen. Johnsons Regierungsbündnis hat eine Mehrheit von nur einer Stimme.Dennoch gelten Corbyns Erfolgschancen als gering. Gewinnt die Opposition die Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen die Regierung, hat sie 14 Tage Zeit, eine Mehrheit für eine eigene Regierung aufzubieten. Dabei stellen sich schwierige Verfahrensfragen. Vor allem aber ist Corbyn für die Rolle als Übergangspremierminister höchst umstritten, weil er ähnlich polarisiert wie Johnson – nur am anderen Ende des politischen Spektrums. Der 70-jährige Altsozialist verfolgt unter anderem Pläne zu Verstaatlichungen. Analysten diskutieren, was gefährlicher für die Wirtschaft ist: eine Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn oder der chaotische Brexit.Aus diesem Grund befürworten viele Oppositionelle einen Interimspremier, der aus der politischen Mitte stammt. Die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, bezeichnete Corbyns Vorstoß am Donnerstag als Unsinn und brachte die Namen von weniger verfänglichen Kandidaten in Umlauf. Vertreter anderer Parteien erklärten sich zumindest zu Gesprächen mit Corbyn bereit, um eine gemeinsame Strategie abzustecken, bevor das Parlament aus der Sommerpause zurückkehrt.