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Langzeitarbeitslosigkeit in den USA birgt Konjunkturrisiken

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 26.11.2020 Ein knappes Dreivierteljahr nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in den USA hat die Erholung am Arbeitsmarkt die Erwartungen übertroffen. Auch haben sich Sorgen um das mögliche...

Langzeitarbeitslosigkeit in den USA birgt Konjunkturrisiken

Von Peter De Thier, WashingtonEin knappes Dreivierteljahr nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in den USA hat die Erholung am Arbeitsmarkt die Erwartungen übertroffen. Auch haben sich Sorgen um das mögliche Abgleiten der weltweit größten Volkswirtschaft in eine zweite Rezession zwar nicht verflüchtigt, sind aber deutlich zurückgegangen. Kaschiert wird von den auf den ersten Blick ermutigenden Zahlen allerdings die deutliche Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit.Der Anteil der Erwerbslosen, die seit mindestens 27 Wochen ohne Beschäftigung sind, bewegt sich langsam auf jenen Stand zu, der nach der Weltrezession erreicht wurde und könnte für Millionen von US-Haushalten zu finanziellen Engpässen führen, die völlig neue Konjunkturrisiken heraufbeschwören würden. Nach Angaben des US-Arbeitsministeriums sank die Erwerbslosenquote im Oktober von 7,9 auf 6,9 %. Die Zahl hatte sich als Folge der Coronakrise und der daraus resultierenden Lockdowns von Februar bis April mehr als vervierfacht und erreichte im Frühjahr 14,7 %. Bis vergangenen Monat war die Quote aber um mehr als die Hälfte wieder geschrumpft, gepaart mit einer beachtlichen Zahl von Neueinstellungen, bei denen während der letzten sechs Monate beständige Zunahmen gemessen wurden. Völlig anders stellt sich die Lage bei jenen Personen im erwerbsfähigen Alter dar, die sich seit über einem halben Jahr vergeblich bemühen, einen Job zu finden. Deren Zahl legte laut Bureau of Labor Statistics (BLS) im Oktober um 1,2 Millionen auf 3,6 Millionen zu. Diese machen nun mehr als 2 % des gesamten Erwerbspersonenpotenzials und 32,5 % aller Arbeitslosen aus. Das ist ein steiler Anstieg von den zuvor ermittelten 19 %. Auch ist der Anteil auf Kurs, jene 45 % zu erreichen, die nach der globalen Finanzkrise sichtbar wurden (siehe Grafik).Das Ende März vom Kongress verabschiedete Konjunkturpaket stimulierte die Wirtschaft und half nicht nur Arbeitslosen, sondern allen Konsumenten, die Folgen der Rezession abzufedern. Haushalte, deren Jahreseinkommen bestimmte Grenzen nicht überschritten, erhielten einmalige Direktzahlungen von 1 200 Dollar. Zudem wurde bis Ende Juli die Arbeitslosenhilfe, die von den einzelnen Staaten bestritten wird, um 600 Dollar pro Woche an Zuschüssen vom Bund ergänzt.Für viele stellten die großzügigen, wenn auch vorübergehenden Staatshilfen einen “disincentive”, also einen negativen Anreiz dar, sich überhaupt auf Stellensuche zu begeben. Nicht zu Unrecht monierten vor allem Republikaner, dass in einem zweiten Konjunkturpaket die erweiterten Gelder deutlich zusammengestrichen werden müssten, da zuvor in vielen Fällen Arbeitslosigkeit plötzlich besser bezahlt wurde als eine Vollzeitbeschäftigung. Einer von zahlreichen Gründen übrigens, warum sich Kongress und Regierung trotz monatelanger Verhandlungen auf kein neues Konjunkturpaket einigen konnten.Einen vorübergehenden Impuls bekam die Wirtschaft auch von einem Passus in dem Gesetz, der herkömmliche Arbeitslosenhilfe um 13 Wochen verlängerte. Diese wird für Millionen von Menschen Ende des Jahres aber ebenfalls auslaufen. Die Folge wird ein massiver Kaufkraftverlust auf breiter Front sein. Nach Ansicht von Ökonomen könnte der Privatkonsum, der fast 70 % der US-Wirtschaftsleistung ausmacht, ohne neue Staatshilfen im Winter einbrechen. Das würde nicht nur die Hersteller von Verbrauchsgütern treffen. Zur Ader gelassen würden vor allem das Gast- und Freizeitgewerbe, die unter der dritten Corona-Welle und den daraus resultierenden Beschränkungen bereits erheblich leiden. Privatkonsum nimmt Schaden Ein Studie der J.P. Morgan Bank veranschaulicht die sich beschleunigende Entwicklung. Demnach steigerten Erwerbslose im August, als sie noch das höhere Arbeitslosengeld bezogen, ihre Ausgaben um 22 %, senkten den Konsum aber im Oktober, als dieses ausgelaufen war, um 14 %. Allein im August hatten diese Haushalte nämlich zwei Drittel ihrer Ersparnisse, die sie von März bis Juli verdoppelt hatten, wieder ausgegeben.Der Verfall der privaten Finanzen verheißt nach Ansicht von Oxford Economics nichts Gutes für die kommenden Monate. Wie Nancy Vanden Houten, Volkswirtin bei dem Institut in einer neuen Studie feststellt, könnten Impfstoffe, die demnächst zur Verfügung stehen werden, ab Mitte 2021 die Wirtschaft entlasten. “Dennoch bedeute das Auslaufen sozialer Sicherheitsnetze, insbesondere das Ende der Notstandshilfe und Arbeitslosenunterstützung für mehr als 13 Millionen Menschen auf kurze Sicht, dass sich für viele Haushalte die Aussichten weiter eintrüben werden” sagt Vanden Houten.Dass der Privatkonsum Schaden nehmen wird, erscheint unausweichlich. Laut Oxford Economics braut sich aber über die Verbraucherausgaben hinaus ein gesamtwirtschaftlich gesehen “perfekter Sturm” zusammen. Vermieter ebenso wie Mieter werden mit dem auslaufenden Moratorium für Zwangsräumungen zu kämpfen haben, die erwerbslose Haushalte am härtesten treffen. Auch müssen ab Januar Akademiker, von denen viele ohne Job sind und für die während der Pandemie die Rückzahlung ihrer Studentendarlehen ausgesetzt wurde, Zahlungen wieder aufnehmen. Alles in allem eine gefährliche Kombination, die nach Ansicht vieler Experten die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Rezession deutlich erhöhen wird.