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Lasst die Roboter für euch arbeiten!

Börsen-Zeitung, 30.11.2018 1870 war die Wochenarbeitszeit unserer Vorfahren doppelt so lange wie heute. Leben wir deshalb besser oder schlechter? Besser natürlich. Wie lange werden unsere Kindeskinder in 100 Jahren arbeiten? Die Antwort liegt darin,...

Lasst die Roboter für euch arbeiten!

1870 war die Wochenarbeitszeit unserer Vorfahren doppelt so lange wie heute. Leben wir deshalb besser oder schlechter? Besser natürlich. Wie lange werden unsere Kindeskinder in 100 Jahren arbeiten? Die Antwort liegt darin, wo wir uns zwischen “Industrie 4.0” und “2. Maschinenzeitalter” bewegen. Industrie 4.0 – das ist das vorherrschende Paradigma zum Digitalisierungszeitalter. Es mutet so an, als ginge es lediglich nur um ein neues Release des Wirtschaftens. Es schwingt so etwas mit wie “Wenn wir alle Bugs der Einführungsphase überwunden haben, geht es weiter wie bisher.” Weniger Arbeit, mehr Lohn?Das von MIT-Forschern Brynjolfsson und McAfee in die Diskussion gebrachte “2. Maschinenzeitalter” ist da deutlich radikaler. Es lässt sich auf die Kurzformel bringen: Die Roboter, die an unsere Werkstore klopfen, und die Algorithmen in unseren Computern brauchen uns genau genommen gar nicht mehr.Der Systembruch zum 1. Maschinenzeitalter, also der Phase, die der Industrie 1.0-3.0 entspricht und die unsere bisherige Geschichte der Industrialisierung abdeckt, könnte größer nicht sein: Im 1. Maschinenzeitalter ist die menschliche Arbeit in Kombination mit den Maschinen immer produktiver geworden, die Löhne stiegen, der Wohlstand auch. Im 2. Maschinenzeitalter kommt es jetzt zu einer Entkoppelung von Mensch und Maschine. Die Wahrheit liegt vermutlich am Ende irgendwo zwischen gemütlichem neuen Release und 2. Maschinenzeitalter. Ja, es werden bestehende Tätigkeiten entfallen. Es werden aber auch neue dazu kommen. Und wenn wir am Ende alle weniger arbeiten, braucht es uns deshalb noch lange nicht schlechter zu gehen. Die Schlüsselfrage ist nur: Wer zahlt unser Gehalt, wenn wir selbst weniger arbeiten? Sind wir dann umso produktiver, um einen höheren Stundenlohn zu rechtfertigen, oder müssen wir uns neue Einkommensquellen erschließen?Fakt ist: Die Ausläufer der Digitalisierung am Arbeitsmarkt sind schon jetzt kaum zu übersehen. Geringes KapitaleinkommenDie gute Nachricht der Studie “Robots in Germany” der Ökonomen Dauth, Findeisen und Südekum lautet zwar, dass die Roboter in Deutschland unterm Strich keine Arbeitsplätze vernichtet haben. Die schlechte Nachricht ist aber: Es kam zu Verschiebungen in den Lohnsegmenten. Ein Trend, den der Ökonom Autor in ähnlicher Weise für die OECD belegt. Das mittlere Lohnsegment hat anteilig zugunsten der hohen und niedrigen Segmente verloren. Dazu kommt, dass der Anteil des Arbeitseinkommens am gesamten Volkseinkommen in den wichtigsten Industriestaaten über die 1970er Jahre hinweg bis heute gefallen und der Anteil des Kapitaleinkommens entsprechend gestiegen ist. Neuzeitliche ProletarierFakt ist somit auch: 150 Jahre nach dem Kommunistischen Manifest lebt die Trennung von Kapital und Arbeit fort. Die neuzeitlichen “Proletarier” (im Duktus von Karl Marx) beziehen ihr Haupteinkommen wie ehedem in der Frühphase der Industrialisierung aus Arbeit. Wenig, all zu wenig nur fließt aus Kapitaleinkommen. Die vom Deutschen Aktieninstitut jährlich erhobene Anzahl der Aktionäre ist kläglich gering, die finanzielle Allgemeinbildung – freundlich ausgedrückt – befriedigend, die Mitarbeiterkapitalbeteiligungsprogramme werden im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich gefördert. Risiken werden aus den Durchführungswegen privater Altersvorsorge wegreguliert – und damit auch die Partizipation an der Risikoprämie, einem der wichtigsten Renditetreiber. Als führende Industrienation liegen wir beim Pro-Kopf-Geldvermögen gemäß dem Global Wealth Report von Allianz auf Platz 19 – und unser Geld überwiegend auf dem Sparbuch. Der Dax ist zu über 50 % in Hand ausländischer Investoren. Teilhabe an Risiko und ChanceFakt ist auch: “Wohlstand für alle” ist mehr als ein Versprechen. Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem basiert auf Privateigentum. So sah es schon die vor etwas über 75 Jahre verabschiedete Blaupause der Sozialen Marktwirtschaft, die Freiburger Denkschrift, vor.Während also die Bundesregierung an ihrer Digitalisierungsstrategie feilt und am 3. Dezember zum Digitalisierungsgipfel nach Berlin lädt, ist der ideale Zeitpunkt, ein neues Paradigma der Arbeit anzupacken. “Proletarier aller Länder, ihr habt nichts zu verlieren als eure Sparbücher. Lasst die Roboter für euch arbeiten!” heißt die Parole. Es geht um eine “Gesellschaft von Teilhabern”, wie sie schon Eucken und Müller-Armack wollten. Teilhabe durch (Kapital-)Beteiligung an den Früchten, aber auch an den Risiken des Wohlstandswachstums. Und nur wenn es gelingt, die Brücke zwischen Kapital und Arbeit durch Beteiligung zu bauen, lässt sich auch eine der drängendsten Debatten unserer Zeit beantworten: jene zur Ungleichheit. Thomas Piketty in Kurzform lautet: Wer weniger Ungleichheit will, muss die Beteiligung an der Risikoprämie wollen. Sie ist der eigentliche Treiber der Ungleichheit.Teil der Digitalisierungsstrategie muss es daher sein, die Teilhabe an den “Robotern” zu fördern. Dabei kann die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein erster Schritt für den Vermögensaufbau sein. Darüber hinaus bieten sich Fonds an, mittels derer in Kapitalbeteiligungen (also z. B. Aktien) investiert wird, um das Klumpenrisiko von Arbeitseinkommen und Aktieneigentum zu vermeiden. Kapitalbeteiligung für breite Bevölkerungsgruppen ist machbar. Wir werden sie brauchen im 21. Jahrhundert.—-Hans-Jörg Naumer ist Global Head of Capital Markets & Thematic Research von Allianz Global Investors (AGI) und Mit-Herausgeber des gerade erschienen Buches “CSR und Mitarbeiterbeteiligung: Die Kapitalbeteiligung im 21. Jahrhundert. Gerechte Teilhabe statt Umverteilung”. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Hans-Jörg Naumer Sicherung des Wohlstands in Zeiten der Digitalisierung: Die Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital wäre ein erster wichtiger Schritt.—–