DER CORONA-KAMPF DER SCHWELLENLÄNDER

Lateinamerikas toxischer Cocktail

Coronakrise trifft Schwellenländer mit unterschiedlicher Wucht - Etliche Notenbanken betreten Neuland

Lateinamerikas toxischer Cocktail

Politisches Missmanagement und ein anfälliges Geschäftsmodell:Die Coronakrise dürfte in kaum einer Region so tiefe Spuren hinterlassen wie in Lateinamerika. Die asiatischen Schwellenländer kommen hingegen glimpflicher davon – mit einer Ausnahme. Etliche Zentralbanken erproben neue Instrumente.Von Stefan Reccius, FrankfurtFür Lateinamerika kommt es in der Coronakrise knüppeldick. Brasilien, Mexiko oder Argentinien: In keiner der drei größten Volkswirtschaften des Subkontinents war die Regierung willens oder in der Lage, die Pandemie einzudämmen. Wochen nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Wachstumsprognose für die Region auf – 9,4 % nach unten geschraubt hat, hat sich daran nichts geändert. Zum politischen Missmanagement gesellt sich das auf den Rohstoffexport ausgerichtete und auf Devisenzuflüsse angewiesene Geschäftsmodell. Der toxische Cocktail wird zum Verhängnis.Im März, als die Pandemie sich über den Globus ausbreitete, hatten noch mehr oder minder alle Schwellenländer mit schweren Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten zu kämpfen. Investoren zogen mehr als 80 Mrd. Dollar aus ihren Portfolios ab. Inzwischen ist die Lage stabiler, die Sorge vor einem finanziellen Flächenbrand gebannt. Dafür zeichnen sich die wirtschaftlichen Folgen regional klarer ab. “Lange anhaltende Narben”Vor Corona hatte der IWF Wachstumsraten jenseits 4 % pro Jahr proklamiert. Geschichte. Nach dem IWF hat jüngst die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) ihre Prognose für die Schwellenländer ohne China von – 1,8 % in April auf – 4,7 % revidiert. S&P erwartet, dass die Rezession “lange anhaltende Narben” hinterlassen wird. Die Ratingagentur nennt erhöhte Schuldenquoten, schleppende Investitionen und mitunter “erhebliche Schäden für die Arbeitsmärkte” als Folgen. Indien werde dadurch bis 2023 um circa 11 % hinter seinen ursprünglichen Wachstumspfad vor der Krise zurückfallen. Im asiatischen Durchschnitt sind es 3 %, in den meisten lateinamerikanischen Ländern hingegen 6 bis 7 %.Die Gesundheitskrise ist dafür nur ein Grund. In wirtschaftlich schwer gebeutelten Ländern wie Indien und Brasilien steigen die Fallzahlen unaufhörlich. Den Sog der einsetzenden Erholung in China, Südkorea und anderswo können sie kaum nutzen, da die Pandemie nach wie vor die wirtschaftliche Aktivität hemmt. Hinzu kommen strukturelle Faktoren. Wichtige Devisenquellen wie der Tourismus und Rücküberweisungen von Landsleuten, die sonst einen gewichtigen Teil ihrer Einkünfte als Gastarbeiter in Nachbarländern in die Heimat schicken, trocknen aus. Das trifft etwa Indien und Mexiko.In Lateinamerika und Südafrika werden obendrein der Nachfrageeinbruch und der Preissturz auf den Rohstoffmärkten zur Hypothek – nicht zuletzt für den Staatshaushalt. Im Zuge des Kapitalabflusses haben insbesondere der südafrikanische Rand und der brasilianische Real stark abgewertet, was den Schuldendienst in Dollar erschwert. Im Gegensatz zu den asiatische Schwellenländern hat die Auslandsverschuldung in Lateinamerika seit der Weltfinanzkrise stark zugenommen. Immerhin haben Brasilien und Mexiko auch ihre Währungsreserven aufgestockt – anders als Südafrika und die Türkei, deren geringe Puffer Beobachter sorgen.Die Währungshüter in Pretoria und Ankara gehörten denn auch zu jenen, die für ein geldpolitisches Novum sorgten: Erstmals griffen Notenbanken in Schwellenländern auf breiter Front zu Anleihekäufen (QE). Dabei ist, anders als bei Fed und EZB, ihr Spielraum beim Leitzins längst nicht ausgeschöpft: In der Türkei stand dieser bei Ankündigung der Notkäufe im März bei 8,75 %, in Südafrika bei 4,25 %. Mehr als ein Dutzend Zentralbanken haben Käufe aufgenommen oder, wie in Brasilien, angekündigt. Sie hätten “signalisiert, dass sie gewillt sind, die Rolle als Käufer der letzten Instanz zu übernehmen”, konstatiert die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Risiko: In der Vergangenheit setzten Zinssenkungen die heimische Währung unter Druck und schlugen auf die Preise durch. Eine Spirale aus Abwertung und Inflation setzte ein. “Das ist bislang nicht der Fall”, sagt Mauro Toldo, Schwellenländerexperte der DekaBank. Auch ausländische Investoren haben gelassen reagiert – wohl in der Überzeugung, dass die lockere Geldpolitik endet, sobald eine Erholung einsetzt.