Lockerung der Schuldenbremse ist der finanzpolitische Sündenfall
Solide Finanzen sind eine der wichtigsten Grundlagen für einen funktionierenden Staat, sie sind Garant für Stabilität und ökonomischen Erfolg. Das ist keine neue Erkenntnis und sollte selbstverständlich das staatliche Handeln leiten. Die Diskussionen der letzten Monate machen jedoch deutlich, dass dies nicht immer der Fall ist. Deshalb brauchen wir dringend eine Begrenzung der Verschuldung in Form der Schuldenbremse. Offenkundig ist an dieser Stelle für die Selbstdisziplin ein gewisser Zwang unerlässlich. Die Haushalte von Bund und Ländern haben in den letzten zehn Jahren an Stabilität gewonnen. Die Schuldenbremse zeigt also Wirkung.Die vergangenen Jahrzehnte haben leider eindrucksvoll bewiesen, dass man dem “süßen Gift der Verschuldung” viel zu schnell erlegen ist, anstatt ernsthaft zu überlegen, wie mit dem Geld auszukommen ist, das uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler anvertrauen. Bund, Länder und Kommunen sitzen heute auf gewaltigen Schuldenbergen – eine enorme Belastung für die nachfolgenden Generationen.Weder das aktuell niedrige Zinsniveau, die Herausforderungen des Klimawandels noch die Notwendigkeit der öffentlichen Investitionen rechtfertigen eine Umkehr. Nun wird diskutiert, die Schuldenbremse für die Übernahme von kommunalen Altschulden durch den Bund auszusetzen. Das wäre ein finanzpolitischer Sündenfall. Zumal wir nach wie vor Steigerungen bei unseren Steuereinnahmen haben. Auch wenn der Anstieg nicht mehr so stark ausfällt und die Aussicht sich eintrübt: Auch 2020 haben wir mehr Geld zur Verfügung als in den Vorjahren. Da kann man doch nicht ernsthaft über ein Aussetzen der Schuldenbremse nachdenken. Junge Generation zahlt Zeche Durch neue Schulden würden auch nicht zwangsläufig die Investitionen signifikant steigen. Schlimmstenfalls würden nur ohnehin vorgesehene Ausgaben für die Infrastruktur verstärkt mit diesen Krediten finanziert und die freiwerdenden Mittel in konsumtive Ausgaben, etwa für neues Personal oder soziale Programme, umverteilt werden. Und letztlich sollten auch diejenigen, die derzeit mit Blick auf die niedrigen Zinsen weitere Schulden fordern, nicht vergessen, dass die Niedrigzinsphase irgendwann ein Ende hat. Dann müssten gewaltige Summen aus den öffentlichen Haushalten für steigende Zinsausgaben aufgewandt werden. Das Geld würde an anderer Stelle fehlen und die politischen Gestaltungsräume künftig stark einengen. Die Finanzkrise in einigen Euro-Staaten hat gezeigt, dass die junge Generation die Zeche zahlt, wenn die Finanzstabilität missachtet wurde. Das ist keine nachhaltige Politik.Die Schuldenbremse dürfen wir erst recht nicht zur Finanzierung von Altschulden der Kommunen durch den Bund aufgeben. Grundsätzlich begrüße ich Überlegungen des Bundes, wie dieser den Ländern ausreichend Finanzmittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stellen kann, wozu auch die Finanzausstattung der Kommunen zählt. Dies darf aber nicht an den Ländern vorbei geschehen.Ich bezweifele, ob mit dieser Einzelmaßnahme ohne weitere Bedingungen oder Auflagen ein strukturelles Problem dauerhaft beseitigt werden kann. Niedersachsen hat gute Erfahrung mit dem 2009 zwischen dem Land und den kommunalen Spitzenverbänden unterzeichneten “Zukunftsvertrag” gemacht, einem zwischen dem Land und den Kommun je hälftig getragenen Entschuldungsprogramm für niedersächsische Kommunen mit hohen Liquiditätskreditbeständen. Unter bestimmten Auflagen wurde eine Entschuldung von bis zu 75 % der aufgelaufenen Liquiditätskredite ermöglicht.In einer konzertierten Aktion wurden zwischen dem Land und diversen Kommunen “Zukunftsverträge” und Vereinbarungen unterzeichnet, um den Kommunen mit besonderen strukturellen Problemen Hilfestellung zu leisten. Bis 2016 wurden insgesamt 45 Entschuldungsverträge und zehn Stabilisierungsvereinbarungen im Volumen von rund 2 Mrd. Euro abgeschlossen. Die Kommunen mussten bei der Inanspruchnahme der Altschuldenhilfe in einen Konsolidierungskurs einschlagen. Zu den Zukunftsverträgen und Vereinbarungen gehören dabei auch Finanzdatenprognosen über die zukünftig zu erwartende Haushaltsentwicklung. Es gilt das Prinzip: keine Leistung ohne Gegenleistung. Länder in der VerantwortungSelbstverständlich haben die Kommunen unterschiedliche Ausgangslagen. Darum ist auch eine individuelle Betrachtung notwendig. Eine einfache Übernahme von kommunalen Altschulden hingegen belohnt auch diejenigen, die nicht nachhaltig gewirtschaftet haben. Das setzte falsche Anreize und lenkt von der eigenen Verantwortung ab. Ich sehe darum ganz klar die Länder in der Verantwortung. Sie kennen ihre Kommunen, kennen die Geschichte, kennen die Rahmenbedingungen.Niedersachsen unternimmt unabhängig davon große Anstrengungen, seine Kommunen ausreichend auszustatten. Die Zahlungen im Kommunalen Finanzausgleich steigen deutlich. 2017 wurde die 4-Mrd.-Euro-Grenze überschritten. Schon 2022 erreichen wir 5 Mrd. Euro. Jeder dritte Euro aus dem Landeshaushalt geht an die Kommunen.Es ist uns gelungen, durch Umschichtungen und Schwerpunktsetzungen finanziellen Spielraum zu schaffen. Wir haben in dieser Wahlperiode bereits eine Dreiviertelmilliarde Euro an Altkrediten getilgt, alle Kriterien der Schuldenbremse erfüllt, unsere Kommunen mit zielgerichteten Programmen unterstützt und dennoch unsere Investitionssumme erheblich erhöht.Die Schuldenbremse dient keinem Selbstzweck. Wir haben die Folgen einer ausufernden Staatsverschuldung in anderen Ländern deutlich vor Augen. Dies sollte Grund genug sein, um notwendige Reformen und Priorisierungen dem Schuldenmachen vorzuziehen. Reinhold Hilbers (CDU) ist Finanzminister in Niedersachsen. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Reinhold HilbersNiedersachsen hat ohne neue Schulden durch Umschichtung und Schwerpunkte finanziellen Spielraum geschaffen – auch für die Kommunen mit Altschulden. ——-