LEITARTIKEL

Lost in Translation

David Cameron hat ziemlich lange gebraucht, um seine Reformvorschläge für die Europäische Union zu Papier zu bringen. Nun ist die Frage, wie flexibel die Formulierungen sind, die er dabei gewählt hat. Denn die vom britischen Premierminister in...

Lost in Translation

David Cameron hat ziemlich lange gebraucht, um seine Reformvorschläge für die Europäische Union zu Papier zu bringen. Nun ist die Frage, wie flexibel die Formulierungen sind, die er dabei gewählt hat. Denn die vom britischen Premierminister in seinem Schreiben an Ratspräsident Donald Tusk erhobenen Forderungen sind so wachsweich, dass erfahrene Eurokraten eine Einigung auf vage Versprechungen für möglich halten, die Cameron dem britischen Wähler anschließend als Erfolg verkaufen könnte.Wer sollte schon etwas dagegen haben, irgendwie und irgendwann die Wettbewerbsfähigkeit der Staatengemeinschaft zu verbessern? Auch die Feststellung, dass es in Europa verschiedene Währungen gibt, vermag die Gemüter nicht zu erhitzen. Es sei denn, Cameron geht es mit seiner Wortwahl, dass die EU mehr als eine Währung hat, darum, auch anderen zu ermöglichen, sich gegen die Einführung des Euro zu entscheiden. Da wäre man in Polen sicher nicht abgeneigt. In Brüssel will man Wahlfreiheit in Währungsangelegenheiten aber um jeden Preis vermeiden. Lost in Translation? Mit viel gutem Willen lässt sich vielleicht eine Formulierung finden, mit der alle so weitermachen können wie bisher. Aber es knirscht schon im Getriebe.Viel schwieriger wird es da, wo Cameron einmal konkret wird: Zuwanderer aus der EU sollen in den ersten vier Jahren keine Sozialleistungen und Sozialwohnungen in Anspruch nehmen dürfen. In seinem Bestreben, der UK Independence Party von Nigel Farage das Wasser abzugraben, macht Cameron ja schon lange Stimmung gegen Zuwanderung aus den Armutsregionen Osteuropas. Die in Deutschland verpönte Debatte darüber, was Zuwanderung kostet, wird in Großbritannien mit aller Härte geführt. Migration wird das Thema Nummer 1 beim Referendum über die Zukunft Großbritanniens in Europa sein, darüber sollte man sich keine Illusionen machen, zumal Fernsehbilder von endlosen Flüchtlingstrecks in Kontinentaleuropa auch jenseits des Ärmelkanals für Verunsicherung sorgen. Zudem fürchten viele angesichts der jüngsten Welle von Terroranschlägen, dass sie der Staat vor solchen Gewalttaten nicht schützen kann. Das Massaker in Paris und die Tage danach haben auf dramatische Weise klargemacht, dass die EU nicht einmal gegen einen gemeinsamen Feind gemeinsam handeln kann.Bis Ende 2017 soll die Volksabstimmung stattfinden – ein Wahlversprechen Camerons. Gerade in Sachen Zuwanderung wird er einen Erfolg vorweisen müssen. Keine Sozialleistungen? Das sei mit europäischem Recht nicht zu vereinbaren, hieß es prompt aus der belgischen Metropole. Dabei verpflichtet Brüssel die Mitgliedstaaten keineswegs darauf, Zuwanderern aus anderen EU-Ländern die Arbeitssuche zu finanzieren. Großbritannien leistet sich jedoch ein vergleichsweise großzügiges Kombilohnsystem. Statt Bulgaren und Rumänen vorzuwerfen, es in Anspruch zu nehmen, sollten die Konservativen diese Form sozialdemokratischer Elendsverwaltung einfach komplett abschaffen. Mit der Forderung, kein Kindergeld für Sprösslinge in den Herkunftsländern der Einwanderer bezahlen zu müssen, steht Cameron nicht allein. Vielleicht geht ja da was.Mit Befremden nahm man in Brüssel zur Kenntnis, dass Cameron Großbritannien von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten ausnehmen will, eine immer engere Union einzugehen. Dadurch würde es schwieriger, die Fiktion vom Europa der zwei Geschwindigkeiten aufrechtzuerhalten, in dem doch alle in die gleiche Richtung laufen. Zu allem Überfluss wurde die Formulierung einst auf Drängen von John Major so gewählt. Camerons Vorgänger wollte 1991 unbedingt verhindern, dass Föderalismus als Ziel in die Präambel des Vertrags geschrieben wird. In Brüssel lacht man heute noch darüber, dass sich die englische Übersetzung – ever closer union – auch mit ECU abkürzen ließe, genau wie die Rechnungswährung des Europäischen Währungssystems vor Einführung des Euro.Vieles spricht dafür, dass es sich bei diesem Referendum um einen Wendepunkt für Europa handelt. Selbst die Verteidiger der EU-Mitgliedschaft wollen keinen europäischen Bundesstaat, wie er so manchem im Brüsseler Treibhaus vorschwebt. In dessen Gängen vermag man sich noch darüber zu ereifern, dass Cameron eine derart wichtige Frage per Volksabstimmung klären will. Die Frage nach der demokratischen Legitimation der EU-Eliten dürfte künftig lauter gestellt werden. Mit dem üblichen Wortgeklingel lässt sich das nicht abtun.——–Von Andreas HippinDas EU-Referendum wirft die Frage nach der demokratischen Legitimation der Brüsseler Eliten auf. Mit dem üblichen Wortgeklingel lässt sich das nicht abtun.——-