Europawahl 2024

Machtzuwachs für Europafeinde in fast allen Ländern

Die EU-Bürger erliegen der Versuchung am rechten Rand – aber es gibt Ausnahmen. Ein Blick in die Abstimmungen in anderen Ländern.

Machtzuwachs für Europafeinde in fast allen Ländern

Machtzuwachs für Europagegner

Die EU-Bürger erliegen der Versuchung am rechten Rand – Aber es gibt Ausnahmen

lz Frankfurt

Der Rechtsdruck in Europa vollzieht sich in breiter Front in fast allen EU-Ländern. Es gibt aber auch vereinzelt Rückschläge für die Rechten. So ist ein Durchmarsch der Geert-Wilders-Partei PVV in den Niederlanden gebremst worden. Ein Überblick:

Frankreich

Frankreich wechselt nach der Auflösung der Nationalversammlung nach der Niederlage von Präsident Emmanuel Macron unvermittelt in den Wahlkampfmodus. Zwei Wahlgänge sind angesetzt: 30. Juni und 7. Juli. Das rechtsnationale Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen kam auf 31,36% der Stimmen. Die Liste der Partei von Staatschef Macron und Verbündeten landete mit 14,6% abgeschlagen auf Platz zwei. Die Sozialisten schafften es mit 13,83% auf den dritten Platz, und die rechtsextreme Partei Reconquête holte 5,47% der Stimmen.

Die Wahlgewinnerin in Frankreich: Marine Le Pen. (AP Photo/Thomas Padilla)

Bei den Neuwahlen geht es um die Zusammensetzung der Nationalversammlung. Die nächste Präsidentschaftswahl ist erst für 2027 vorgesehen. Macron hofft, mit dem riskanten Manöver eine stabilere Mehrheit für seine verbleibende Amtszeit zu schaffen. Sein Regierungslager hat seit zwei Jahren keine absolute Mehrheit.

Italien

Mit dem klaren Erfolg bei der Europawahl hat Italiens rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni weiter an Macht gewonnen. Als Spitzenkandidatin ihrer Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) kam die 47-Jährige auf 28,8% der Stimmen und konnte ihr Ergebnis von 2019 mehr als vervierfachen. Die Fratelli haben ihre Ursprünge in der postfaschistischen Bewegung, wo Meloni früher auch sehr aktiv war. Inzwischen tritt sie gemäßigter auf. Im ersten Radio-Interview nach der Wahl hielt sie der EU jedoch vor, eine Politik zu betreiben, „die von den Bürgern nicht geteilt wird“. „Dies bezeugt die Tatsache, dass die alternativen Kräfte zur Linken in ganz Europa zulegen.“

Auf Platz zwei kam ein linkes Bündnis um die sozialdemokratische Partei PD mit 24%. PD-Vorsitzende Elly Schlein (39) konnte damit ihre Rolle als Meloni-Gegenspielerin festigen. Die linkspopulistische Bewegung Cinque Stelle (Fünf Sterne) unter Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte kam nur auf 10%. Das links-grüne Bündnis Alleanza Verdi Sinistra erreichte 6,7%. Der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi scheiterte an der 4-Prozent-Hürde.

Niederlande

Das rot-grüne Wahlbündnis aus Sozialdemokraten und Grünen hat die Europawahl in den Niederlanden klar gewonnen. PvdA und GroenLinks errangen 8 der 31 Mandate – eins weniger als vor fünf Jahren. Auf Rang zwei kommt der radikal-rechte Populist Geert Wilders, dessen europaskeptische Partei für die Freiheit (PVV) sechs Mandate errang. Vor fünf Jahren hatte die PVV keinen Sitz errungen und bekam nur ein Mandat nach der Neu-Verteilung im Anschluss an den Brexit. Die rechtsliberale VVD des aus dem Amt scheidenden Premiers Mark Rutte verlor leicht und kommt auf vier Sitze.

Zuvor war erwartet worden, dass die Wilders-Partei erstmals eine Europawahl gewinnen würde. Der Rechtsaußen hatte mit seiner Anti-Islampartei im November überraschend die nationale Parlamentswahl gewonnen und wird nun mit drei weiteren rechten Parteien regieren. Wilders musste aber selbst auf das Amt des Regierungschefs verzichten. Er legte auch seine Forderung nach einem Nexit, dem Austritt der Niederlande aus der EU, auf Eis und erklärte, seine Partei wolle sich nun dafür einsetzen, „die EU von innen heraus auszuhöhlen“.

Österreich

In Österreich ist die rechtspopulistische FPÖ bei der Europawahl als stärkste Kraft hervorgegangen. Die Freiheitliche Partei kommt nur wenige Monate vor der Parlamentswahl mit 25,5% der Stimmen erstmals auf Platz 1. Die regierende konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) stürzt fast 10 Prozentpunkte auf 24,7% ab, die sozialdemokratische SPÖ verliert leicht auf 23,3%. Die Grünen verlieren über drei Punkte und landen bei 10,9%. Zulegen konnten die liberalen Neos, die auf 10,1% kamen. Die EU-Wahl gilt als Testwahl für die wahrscheinlich Ende September stattfindende Nationalratswahl. Auch hier sehen Umfragen die FPÖ bisher als klaren Favoriten.

Die FPÖ gilt als EU-skeptisch. Auf ihren Wahlplakaten heißt es: „Den EU-Wahnsinn stoppen“. Für einen Austritt aus der EU sind sie aber nicht. Sie steht zudem für einen strengen Asylkurs und spricht sich gegen Sanktionen gegen Russland aus. Der EU wirft sie „Kriegstreiberei“ vor.

Portugal

In Portugal liegen die oppositionellen Sozialisten knapp vorn. Sie kamen auf 32,1% (2019: 33,34%). Das regierende konservative Bündnis Demokratische Allianz (AD) erzielte 31,3% (21,9%). Die erst 2019 gegründete rechtspopulistische Chega, die erstmals an einer Europawahl teilnahm, bekam 9,8%. Bei der Parlamentswahl im März hatte sie aber noch 18,1% erhalten. Die Liberalen konnten sich verbessern und kamen auf knapp 9%. Die Wahlbeteiligung lag nur bei rund 37%, nur etwas mehr als die 30,8% in den Wahlen 2019.

Polen

Die liberalkonservative Bürgerkoalition von Regierungschef Donald Tusk hat die Europawahl in Polen gewonnen. Auf Tusks Partei entfielen 37,1%. Sie kann 21 Abgeordnete ins EU-Parlament schicken. Die größte Oppositionspartei, die nationalkonservative PiS von Jaroslaw Kaczynski, landete mit 36,2% der Stimmen auf dem zweiten Platz. Sie konnte aber im Vergleich zu ersten Prognosen den Abstand zur Bürgerkoalition verringern. Die PiS wird mit 20 Abgeordneten vertreten sein. Drittstärkste Kraft wurde die rechtsradikale Konfederacja mit 12,1%, auf sie entfallen sechs Abgeordnete.

Der Wahlverlierer in Polen: Jaroslaw Kaczynski. (Photo by Andrzej Iwanczuk/NurPhoto)

Auf den letzten beiden Plätzen landeten die zwei kleineren Koalitionspartner, die mit Tusks Partei die Mitte-links-Regierung bilden. Auf den christdemokratischen Dritten Weg entfielen 6,9%. Das Linksbündnis Lewica erhielt 6,3% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Wahlkommission bei 40,7%.

Spanien

In Spanien ist die oppositionelle konservative Volkspartei bei der Europawahl stärkste Kraft geworden. Die PP kam auf 34,2% (2019: 20,2%). Die regierenden Sozialisten PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez folgten mit 30,2% (32,9%). Die rechtspopulistische Vox erzielte Gewinne und kam als dritte Kraft auf 9,6% (6,2%). Im Vergleich zur Parlamentswahl im vergangenen Jahr verlor Vox jedoch Stimmen. Damals kam die Partei noch auf 12,4%. Zudem kam die neue, ebenfalls rechte Kleinpartei Salf auf 4,6%. Sumar, der linkere Koalitionspartner der PSOE, erzielte nur 4,7% und das inzwischen abgespaltene linksalternative Bündnis Podemos 3,3%. Dieses Lager hatte 2019 noch 10,1% erzielt.

Der Wahlkampf in dem überwiegend proeuropäischen Land war eher von nationalen Themen dominiert. Die konservative Opposition hatte die Abstimmung zu einem Plebiszit über Sánchez erklärt. Im Mittelpunkt standen dabei die umstrittene Amnestie für katalanische Separatisten und zuletzt auch Ermittlungen der Justiz wegen mutmaßlicher Korruption gegen die Frau von Sánchez, Begoña Gómez. Sánchez hatte deshalb im April sogar mit einem Rücktritt gedroht. Die Wahlbeteiligung lag in der viertgrößten Volkswirtschaft der EU mit 49,2% wesentlich niedriger als 2019 mit 60,7%. Damals waren jedoch zugleich Kommunalwahlen und die Wahl von Regionalparlamenten in zwölf autonomen Regionen abgehalten worden.

Schweden

In Schweden haben sich die Sozialdemokraten abermals als deutlich stärkste Kraft bei den Europawahlen behauptet. 24,9% der Stimmen sicherte sich die Partei. Ein großes Plus verbuchten im Heimatland der Klimaaktivistin Greta Thunberg die Grünen mit mehr als 2 Prozentpunkten mehr im Vergleich zu den EU-Wahlen 2019 – sie erreichten den Angaben zufolge 13,8% und wurden drittstärkste Kraft. Rang zwei erreichten die Moderaten, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten wurden nach den Grünen die viertstärkste Kraft mit 13,2% und verloren mehr als 2 Prozentpunkte zur vergangenen Wahl vor fünf Jahren. Schweden verfügt über 21 Sitze im Europaparlament.

Ungarn

In Ungarn hat die Fidesz-Partei des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen erzielt. Mit 44,6% der Stimmen blieb sie zwar weiterhin stärkste politische Kraft in dem Land. Doch für Aufsehen sorgte, dass die neue Partei Respekt und Freiheit (Tisza) des Orban-Herausforderers Peter Magyar aus dem Stand auf 29,7% kam. Fidesz wird 11 Abgeordnete – statt bisher 13 – nach Brüssel schicken. Magyars Tisza-Partei kann mit sieben Mandaten rechnen. Zwei Mandate entfielen auf ein sozialdemokratisches Parteienbündnis, eines auf die rechtsextreme Partei Unsere Heimat (Mi Hazank).

Blitzerfolg in Ungarn: Péter Magyar. (AP Photo/Denes Erdos)

Magyar war mit der ehemaligen Justizministerin Judit Varga verheiratet gewesen. Er hatte Positionen in Regierungsinstitutionen und staatsnahen Unternehmen bekleidet. Im Februar verkündete er aber seinen Bruch mit Orbans System und will sich für die nächste Parlamentswahl im Jahr 2026 in Position bringen. Orban, der seit 2010 teilweise autoritär in Ungarn regiert, hatte enorme Ressourcen eingesetzt, um seine Wähler für die Europawahl zu mobilisieren und um Magyar mit Schmutz-Kampagnen zu verunglimpfen. Dabei schürte er auch Kriegsängste in der Bevölkerung – die Abwendung eines Dritten Weltkriegs hinge gewissermaßen davon ab, dass Ungarn genügend Fidesz-Vertreter ins Europaparlament entsendet, behauptete er.

Tschechien

Der tschechische Präsident Petr Pavel hat sich nach der Europawahl besorgt über den Zulauf zu Parteien am Rand des politischen Spektrums in Teilen des Kontinents gezeigt. „Worüber wir nicht hinwegsehen können, ist der Anstieg der Unterstützung für Extremisten in Europa", schrieb der Ex-General am Montag bei der Online-Plattform X. „Wir müssen diese Stimmen wahrnehmen und darüber nachdenken, warum dies geschieht“, forderte der 62-Jährige. Er drückte die Hoffnung aus, dass die Grundausrichtung der EU bezüglich Sicherheit und Demokratie dennoch unverändert bleiben werde.

In Tschechien kam ein Bündnis aus der rechten Protestpartei Prisaha (Schwur) und der Autofahrerpartei aus dem Stand auf zwei Sitze, die Rechtsaußenpartei SPD (Freiheit und direkte Demokratie) auf ein Mandat. Stärkste Kraft wurde indes die liberal-populistische Oppositionspartei ANO des Milliardärs Andrej Babis mit sieben Sitzen.