Frankreich

Macrons gefährliche Strategie

Macrons Corona-Strategie ist gefährlich für das Infektionsgeschehen und könnte am Ende auch die Wirtschaft teuer zu stehen kommen.

Macrons gefährliche Strategie

Die nächsten Wochen dürften schwierig werden, warnte Frankreichs Premier Jean Castex gerade. Denn in immer mehr Regionen Frankreichs am Mittelmeer, im Norden und im Großraum Paris steigt die Zahl der Neuinfektionen und die ansteckenderen Mutationen verbreiten sich. Präsident Emmanuel Macron hat diese Woche gleich zwei Sitzungen des Verteidigungsrates angesetzt, um über die deshalb unter Beobachtung stehenden Départements mit besonders hohen Inzidenzen zu beraten. Ihnen könnten ähnliche Beschränkungen wie Nizza und Dünkirchen drohen, wo inzwischen strenge Ausgangssperren gelten – allerdings nur an den Wochenenden. ​

Maßnähmchen statt verschärfter Beschränkungen, um mit aller Macht eine dritte Ausgangssperre hinauszuzögern, lautet die Strategie Macrons. Obwohl Lokalpolitiker in den betroffenen Regionen angesichts hoher Inzidenzen und überfüllter Intensivstationen für eine strenge Ausgangssperre wie im Frühjahr plädieren, wartet Macron lieber weiter ab. Dabei liegen die 7-Tage-Inzidenzen nun in 11 der 95 französischen Départements über 300. Nur 15 weisen Inzidenzen von weniger als 100 aus. Dennoch weigert sich Macron entgegen den Ratschlägen seines wissenschaftlichen Beirates seit Ende Januar beharrlich, striktere Maßnahmen zu ergreifen und Schulen sowie Geschäfte zu schließen. Eigentlich hatten Beobachter dies für die Winterferien erwartet, die je nach Region etwa am 8. Februar begannen – zumal das Staatsoberhaupt noch zu Beginn der zweiten Ausgangssperre im Herbst das Ziel verfolgte, die Zahl der Neuinfektionen auf 5000 pro Tag zu senken. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Nachdem sie im Februar bei um die 20000 stagnierten, stiegen sie Dienstag vor einer Woche wieder auf 30000 an.

Statt wie letztes Jahr dramatische Kriegsmetaphern zu bemühen und den pessimistischen Prophezeiungen von Wissenschaftlern viel Raum zu geben, versucht der junge Präsident nun krampfhaft, Optimismus zu verbreiten. Denn er hat am Beispiel der Niederlande gesehen, wie sich der Unmut über Corona-Beschränkungen in Protesten entladen kann. Er hat aber auch die Ergebnisse von Umfragen gesehen, dass die Pandemie den Franzosen immer mehr aufs Gemüt schlägt, bei ihnen Angst, Schlaflosigkeit und den Griff zu Stimmungsaufhellern und Alkohol verstärkt. Neben Senioren sind davon vor allem junge Menschen bis 29 Jahre betroffen. Macron veröffentlicht daher inzwischen nicht mehr systematisch die Warnungen seines wissenschaftlichen Beirates.

Mit diesem neuen Kurs will er sich emanzipieren und den Einfluss der Wissenschaftler auf die Politik verringern, um so der Wirtschaft wieder mehr Gewicht einzuräumen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten mit allen Mitteln aufrechterhalten, lautet Macrons Credo, nachdem die strenge Ausgangssperre zu Beginn der Pandemie das Bruttoinlandsprodukt in den Keller schickte. Der Kurs entspricht auch den Forderungen eines Teils der konservativen Wählerschaft, die Macron mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2022 um­garnt. Die Wahlen sind auch der Grund, warum er die junge Wählerschaft bei Laune halten will. „Seht her, ich tue etwas für Euch“, signalisiert Macron diesen Gruppen mit seiner beharrlichen Weigerung, trotz hoher Inzidenzen und steigender Infektionszahlen wieder härtere Maßnahmen zu ergreifen.

Dieses „koste es, was es wolle“ könnte sich jedoch als Bumerang erweisen und Frankreich am Ende teuer zu stehen kommen – egal, ob Macron aus politischem Kalkül mit Blick auf die Wahlen oder einfach aus Furcht vor Protesten so agiert. Da er den Einfluss der Wissenschaftler wieder zurückgedrängt hat, wird er sich jedoch auch der Verantwortung stellen müssen, sollte es der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone nicht bald gelingen, die Pandemie in den Griff zu bekommen, oder sollte die Lage gar außer Kontrolle geraten. Macrons gefährliche Strategie birgt gleich mehrere Risiken. Da die eher kosmetischen Maßnahmen angesichts der Mutationen nicht ausreichen dürften, die Pandemie zurückzudrängen, droht bald eine Überlastung der Intensivstationen und des Krankenhauspersonals. Die Sterblichkeitsrate könnte stark steigen, genau wie die Zahl der unter Langzeitfolgen Leidenden. Monatelange eher softe Maßnahmen wie nächtliche Ausgangssperren und Restaurantschließungen dürften die Bevölkerung auslaugen. Sie könnten Frankreichs Wirtschaft auf Dauer sogar stärker schaden als ein harter Lockdown.

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