IM BLICKFELD

Makroprudenzielle Aufsicht blüht im Verborgenen

Von Angela Wefers, Berlin Börsen-Zeitung, 24.7.2014 Eklatante Lücken in den Kontrollsystemen sind seit der Weltfinanzkrise 2008 offenkundig. Dabei hat sich nicht nur gezeigt, dass Selbstregulierungsmechanismen wie die Verknüpfung von Risiko und...

Makroprudenzielle Aufsicht blüht im Verborgenen

Von Angela Wefers, BerlinEklatante Lücken in den Kontrollsystemen sind seit der Weltfinanzkrise 2008 offenkundig. Dabei hat sich nicht nur gezeigt, dass Selbstregulierungsmechanismen wie die Verknüpfung von Risiko und Haftung oder die Sanktion einer Pleite nicht funktioniert haben; auch in der Finanzaufsicht taten sich Defizite auf. Ein zentraler Punkt: die unterschätzte makroprudenzielle Aufsicht. Es reicht eben nicht aus, die einzelnen Finanzmarktakteure mikroprudenziell zu überwachen – auch das Zusammenspiel der Akteure und die Interdependenz der Märkte spielen eine wichtige Rolle als Krisenfaktor. Schleppender StartEine umfassende makroprudenzielle Überwachung soll es erlauben, künftig Risiken aus diesem Zusammenspiel früh zu erkennen. In Europa ist der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) verantwortlich, hierzulande seit Anfang 2013 der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS). Ein Austausch zwischen beiden Gremien – sowie des ESRB mit den übrigen nationalen Ausschüssen in der EU – soll sicherstellen, dass auch europaweit Risiken in den eng verflochtenen Finanzsystemen aufgedeckt werden. Doch läuft das neue Kontrollsystem in Deutschland zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung nur schleppend an.Eines der schärfsten Instrumente für die Wirksamkeit des AFS ist die Kommunikation: Warnungen und Empfehlungen werden veröffentlicht, soweit davon keine Gefahr für die Finanzstabilität ausgeht. Nur wenn die Öffentlichkeit diese wahrnimmt, kann das Gremium präventiv auf die Finanzstabilität wirken und Druck entfalten. Denn die Macht, Dinge zu ändern, liegt vielfach am Ende beim Gesetzgeber oder bei den Aufsichtsbehörden, aber nicht beim Ausschuss.Die Zusammensetzung des AFS birgt sogar das Potenzial von Interessenkonflikten. Die Mitglieder des Gremiums kommen in gleicher Zahl – es sind jeweils drei – aus dem Bundesfinanzministerium, der Finanzaufsicht BaFin und der Bundesbank. Die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilität (FMSA) ist ebenfalls dabei, aber ohne Stimmrecht. Adressaten von Warnungen, die der Ausschuss aussprechen kann, können die Bundesregierung, die Finanzaufsicht BaFin oder eine andere öffentliche Stelle in Deutschland sein. Somit sprechen die Beteiligten des AFS quasi Warnungen oder Empfehlungen gegen sich selbst aus. Wer macht das schon gern?Eine herausgehobene Rolle kommt zwar der unabhängigen Bundesbank zu, da ihr die laufende Analyse obliegt, die Identifizierung und Bewertung von Risiken sowie die Vorbereitung der Sitzungen, die wenigstens viermal im Jahr stattfinden müssen. Doch der Vorsitz des AFS liegt beim Bundesfinanzministerium. Konflikte mit anderen Politikfeldern dürfte es dort permanent geben. Unbemerkte PremiereMitte Juni gab es eine Art Premiere. Der AFS legte erstmals überhaupt seinen Bericht für den Deutschen Bundestag vor, um die Abgeordneten über die Finanzstabilität zu informieren. Dazu ist der Ausschuss einmal im Jahr verpflichtet. In der Öffentlichkeit blieb der Bericht dennoch weithin unbemerkt. Das mag daran liegen, dass sich die Krise nach 2008 inzwischen weitgehend beruhigt hat (siehe Grafik). Dies konstatiert auch der Ausschuss: Die Stressindikatoren sanken Anfang 2014 auf den niedrigsten Stand seit sechs Jahren. Gleichwohl macht der AFS noch eine Reihe von akuten und latenten Risiken für die Stabilität des deutschen Finanzsystems aus.Die Vorlage des Berichts unter der Wahrnehmungsschwelle mag aber auch daran liegen, dass die Bundesregierung ihn stiefmütterlich behandelte. Es gibt viele Instrumente, um öffentliche Wirkung zu erzielen: Hintergrundgespräche, Pressekonferenzen, Fototermine mit dem Finanzminister. In diesem Fall brauchte das Bundesfinanzministerium glatt zwei Tage, um in einer Presseerklärung mitzuteilen, dass der AFS den Bericht für den Bundestag bereits am 16. Juni vorgelegt hatte. Den Bundestag selbst erreichte das Dokument erst Ende Juni/Anfang Juli in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause. Der Bericht konnte nur noch ordnungsgemäß überwiesen werden: an den federführenden Finanzausschuss sowie an die mitberatenden Ausschüsse für Recht, Wirtschaft und Haushalt. Faktisch werden sich die Abgeordneten erst im Herbst mit dem Stabilitätsbericht befassen können, wenn sie Anfang September aus den Parlamentsferien zurückkommen. Noch Risiken im SystemErst dann werden sie über Risiken beraten, die der AFS durchaus noch sieht. Genannt wird die Anfälligkeit aus Schuldverhältnissen mit Euro-Krisenländern. Stark ausgeprägte fundamentale Ungleichgewichte könnten die Schuldenkrise wieder verschärfen, heißt es. Kreditrisiken macht der AFS besonders bei Finanzierungen von Schiffen, Auslandsgewerbeimmobilien sowie stark ausfallgefährdeten Verbriefungen aus. Auch die Phase niedriger Zinsen und die Liquiditätspolitik großer Notenbanken bereitet dem Ausschuss Sorge. Die großzügige finanzielle Versorgung biete einen Nährboden für Stabilitätsrisiken bei Wohnimmobilien. Im Bankensystem akzentuiere das Niedrigzinsniveau die strukturelle Ertragsschwäche, bei den Lebensversicherern sorge es für Ertragsdruck. Die neue Regulierung werfe Fragen zu den künftigen Finanzierungsbedingungen auf. Im Blick behalten will der AFS Risiken aus Schattenbankenaktivitäten. Dasselbe gilt für außerbörslich (OTC) gehandelte Derivate. Ob dies alles auch die Abgeordneten beschäftigt, entscheidet sich aber erst im Herbst.