Mangelndes Vertrauen
Genau drei Jahre ist es am Donnerstag her, dass Emmanuel Macron sein Amt als Präsident Frankreichs angetreten hat. Doch nach Feiern dürfte dem 42-Jährigen nicht zumute sein. Immerhin ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit fast 27 000 Toten eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder. Damit nicht genug, denn auch wirtschaftlich leidet sie stärker als alle Nachbarn. So brach das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den ersten drei Monaten des Jahres im Quartalsvergleich um 5,8 % ein. Die achtwöchige strenge Ausgangssperre hat das jährliche Wachstum nach Angaben von Banque-de-France-Chef François Villeroy de Galhau bereits 6 % gekostet. Eine erste Schätzung, wie stark das BIP im Gesamtjahr schrumpfen dürfte, will er im Juni geben. Die Regierung geht in ihrem zweiten Krisen-Nachtragshaushalt bereits von einem Rückgang um 8 % aus.Macron steht nun an einem Wendepunkt – und gleichzeitig vor einer der schwierigsten Herausforderungen seiner bisherigen Amtszeit. Denn es muss ihm nun gelingen, die Beschränkungen schrittweise zu lockern und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, ohne dass es dabei zu einer zweiten Infektionswelle kommt, die das Land noch viel stärker treffen könnte als die erste. Statt die Früchte seiner Reformpolitik zu ernten, wird sich Macron in den nächsten Wochen vor allem als Feuerwehrmann für die Wirtschaft betätigen müssen.Zunächst muss es ihm gelingen, die Schäden so weit wie möglich zu begrenzen. Dann kann er wie in seiner Rede vom 13. April versprochen die aus der Krise erwachsende Chance ergreifen und sich und Frankreich neu erfinden. Dabei muss Macron ein besseres Gleichgewicht zwischen dem Zentralstaat und den Gebietskörperschaften herstellen. Denn das ist eine der Lehren aus der Epidemie: Die zentralistische Organisation und die viel stärker als in Deutschland ausgeprägte Bürokratie haben dazu geführt, dass Mittel im Gesundheitswesen nicht effizient eingesetzt wurden, dass Entscheidungen zu lange dauerten. Schnell und vor allem angepasst an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Regionen reagieren zu können, ist jedoch gerade jetzt unerlässlich.Große Reformprojekte wie zu Beginn seiner Amtszeit sind von Macron jedenfalls nicht mehr zu erwarten. Im Gegenteil, denn er hat bereits zu Beginn der Ausgangssperre wichtige Vorhaben wie die Rentenreform ausgesetzt. Statt weiter zu reformieren, wird Macron die bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2022 verbleibende Zeit damit verbringen müssen, die Folgen der Coronavirus-Krise wieder wettzumachen. Denn das zuletzt 110 Mrd. Euro schwere Hilfspaket wird das Defizit auf 9,1 % und die Gesamtverschuldung laut Nachtragshaushalt auf 115 % des BIP ansteigen lassen. Gleichzeitig sind Entlassungs- und Pleitewellen zu befürchten. Zuletzt waren 12,2 Millionen Arbeitnehmer von Kurzarbeitsmaßnahmen betroffen.Um die Wirtschaft und den wichtigen Wachstumsmotor Privatkonsum ankurbeln zu können, muss Macron vor allem das Vertrauen der Franzosen zurückgewinnen. Doch genau daran mangelt es. Während die Bevölkerung von Nachbarländern sich gerade jetzt auf ihre Regierungen verlässt, vertraut gerade mal ein Drittel der Franzosen dem Präsidenten, die Probleme des Landes effizient anzugehen. Das liegt zum einen an offensichtlichen Widersprüchen wie etwa dem Aufruf zur Teilnahme an der Kommunalwahl, obwohl bereits klar war, dass kurz danach die Ausgangssperre in Kraft treten sollte.——Von Gesche WüpperFrankreichs Präsident Emmanuel Macron steht vor seiner größten Herausforderung: Neben der Coronakrise kämpft er gegen den Vertrauensverlust.——