GASTBEITRAG

Marktrauschen und Marktsignale der Euro-Krise

Börsen-Zeitung, 3.1.2013 Alle Wege führen nach Rom. Das ist zumindest der Eindruck, den Europa im Dezember vermittelte. Die Konjunkturdaten waren schwach, Mario Draghi ließ den "Easing Bias" der Europäischen Zentralbank (EZB), also die lockere...

Marktrauschen und Marktsignale der Euro-Krise

Alle Wege führen nach Rom. Das ist zumindest der Eindruck, den Europa im Dezember vermittelte. Die Konjunkturdaten waren schwach, Mario Draghi ließ den “Easing Bias” der Europäischen Zentralbank (EZB), also die lockere Ausrichtung der Geldpolitik, unverändert, die “Vier Präsidenten” zeigten, dass Europas politische Führung letztlich doch einen Fahrplan und ein Ziel für die Währungsunion hat – und Silvio Berlusconi erinnerte uns daran, dass die Politik eine zentrale Quelle der Volatilität an den Märkten bleibt.Es gibt viele Wege, die Europa nächstes Jahr beschreiten könnte, aber wenn man das Hintergrundrauschen ausblendet, treten am Ende des Tages die Marktsignale überaus klar hervor: Die Wirtschaft der Eurozone befindet sich in einem scharfen Abschwung, die EZB ist dabei, den Zinsgriff weiter zu lockern, und die politisch Verantwortlichen arbeiten an einem Plan, um die Fiskalpolitik in der Wirtschafts- und Währungsunion strukturell zu verbessern, damit sich die langfristigen Erwartungen stabilisieren. Der Weg der Politik zu diesem Ziel dürfte ein ziemlich holpriger werden.Werfen wir zuerst einen Blick auf die Konjunkturdaten. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone schrumpfte im dritten Quartal um 0,1 %, nachdem es im Vorquartal um 0,2 % gesunken war. Damit befindet sich die Eurozone in einer technischen Rezession. Und die Frühindikatoren deuten auf eine weitere Eintrübung hin. Gleichzeitig gingen die Einzelhandelsumsätze im Oktober zurück. Alle aktuellen Konjunkturdaten deuten darauf hin, dass sich der Rückgang des BIP im vierten Quartal fortsetzen wird. Deutschlands Daten kann man bestenfalls als durchwachsen bezeichnen, sie weisen ebenfalls auf ein sich abschwächendes Wachstum hin.Das bringt uns zu dem Signal, das der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, gesendet hat, und zu den kräftigen Abwärtsrevisionen der EZB-Projektionen für 2013. Die EZB hat ihre Projektion für das BIP-Wachstum 2013 um nahezu einen vollen Prozentpunkt auf eine Spanne von minus 0,9 bis plus 0,3 % gesenkt. Für 2014 erwarten die Notenbanker ein Wachstum zwischen plus 0,2 und 2,2 %. Die Inflation gegenüber dem Vorjahr sehen sie im Jahr 2013 zwischen 1,1 und 2,1 %, sowie 2014 zwischen 0,6 und 2,2 %. Das sind nicht unbedingt Zahlen, die auf eine dynamische Volkswirtschaft schließen lassen. Wir erwarten deshalb, dass die EZB ihren Hauptrefinanzierungssatz Anfang 2013 um 25 Basispunkte auf 0,5 % senken wird, gehören allerdings auch zum Lager jener, die glauben, dass der EZB-Rat den Satz für die Einlagenfazilität unverändert bei 0,0 % belassen wird.Banken der Eurozone haben derzeit noch immer 230 Mrd. Euro Überschussliquidität in der Einlagenfazilität geparkt. Der springende Punkt ist also nicht die Menge an Liquidität, sondern deren Verteilung. Solange der Euro durch das Risiko belastet wird, dass Länder aus der Währungsunion austreten könnten, wird der Interbankenmarkt gespalten bleiben, und ein negativer Satz für die Einlagenfazilität würde wenig nutzen, um die Liquidität in die Realwirtschaft zu lenken, wo sie am dringendsten benötigt wird. Die Rate für die Einlagenfazilität in den negativen Bereich zu senken wäre ungefähr so, wie ein Auto ohne Öl zu fahren: Der Motor würde sich festfressen, wenn nicht vorher das Problem der Spaltung gelöst wird.Der Bericht der “Vier Präsidenten” (Four Presidents’ Report) mit dem Titel “Towards a Genuine Economic and Monetary Union” (zu Deutsch etwa “Der Weg zu einer wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion”), der am 5. Dezember veröffentlicht wurde, stellt einen wichtigen Schritt dar, die Spaltung endlich zu überwinden. EU-Ratsvorsitzender Herman Van Rompuy, Jean-Claude Juncker von der Eurogruppe, José Manuel Barroso von der EU-Kommission und Mario Draghi von der EZB haben einen konstruktiven Fahrplan vorgelegt, der Vorschläge zur strukturellen Verbesserung der Fiskalpolitik enthält. Der Fahrplan fasst drei Stufen ins Auge:Stufe 1: Sicherung der fiskalischen Nachhaltigkeit und Kappung der Verbindung zwischen Banken und Staaten (bis Jahresende 2013) sowie Errichtung einer europäischen Aufsicht; den Europäischen Stabilitätsmechanismus in die Lage versetzen, Banken direkt zu rekapitalisieren;Stufe 2: Integrierten Finanzrahmen (integrated financial framework) und Integration struktureller Politiken auf nationaler Ebene verwirklichen (2013 bis 2014); Schaffung eines einheitlichen Beschlussmechanismus und mehr Integration bei strukturellen Reformen;Stufe 3: Etablierung eines Instrumentariums innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU), um länderspezifische Schocks absorbieren zu können (nach 2014); Errichtung eines länderspezifischen Instrumentariums zur Schock-Absorption mittels eines gemeinsamen Finanzhaushalts und nationaler Haushaltsmittel; zudem werden zwei Varianten für Ausgabeninstrumente vorgeschlagen; ferner soll es der Währungsunion ermöglicht werden, sich gemeinsam an den Märkten zu verschulden (ohne die Möglichkeit, Altschulden zu vergemeinschaften) Politische StörgeräuscheVermutlich ist der Inhalt des Berichts auf lange Sicht positiv für die Vermögenspreise in den Randstaaten der Währungsunion, notwendig ist aber politische Unterstützung und eine effektive Umsetzung der Vorhaben. Zudem waren wieder einmal politische Störgeräusche aus Italien zu vernehmen, als Silvio Berlusconi offiziell ankündigte, er werde bei der Wahl im kommenden Jahr für seine Partei “Volk der Freiheit” (PdL) als Ministerpräsidentenkandidat antreten. Nimmt man den Anstieg der Rendite fünfjähriger italienischer Staatsanleihen um 25 Basispunkte und den Einbruch des italienischen Aktienmarktes um 2,5 % an dem Donnerstag, als Berlusconi erstmals seine Rückkehr in die Politik andeutete, dann signalisieren die Kapitalmärkte, dass das Comeback unverantwortlich sein könnte, sowohl für Italien als auch für Europa. Somit hat der Wahlkampf in Italien begonnen. Die Volatilität italienischer Renditen wird bis zu den Wahlen wahrscheinlich hoch bleiben. Die Volatilität könnte sogar noch verstärkt werden durch Äußerungen und Handlungen von Ratingagenturen.Unser Basisszenario bleibt aber unverändert: Eine Mitte-Links-Koalition unter der Führung von Pier Luigi Bersanis Partito Democratico (PD) dürfte die Wahl gewinnen und keine 180-Grad-Wendung der gegenwärtigen Politik vollziehen. Die Wahrscheinlichkeit einer links orientierten Regierung oder eines PdL-Sieges sind zwar nicht gleich null, das Risiko eines kompletten Politikwechsels einschließlich einer Umkehr von Montis Politik bleibt aber gering.Unsere Schlussfolgerungen für die Anlagestrategie bleiben im Großen und Ganzen gleich: Vor den Wahlen sind eine höhere Volatilität und schwache italienische Märkte zu erwarten, eine gewisse Auswirkung auf Spanien ist wahrscheinlich. Aber mit der EZB als Sicherheitsnetz, die das Risiko eines Euro-Austritts eines Mitgliedstaats entschärft, mit dem Fortschritt, den einzelne Länder im Süden Europas machen, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, und angesichts der politisch Verantwortlichen, die an besseren Fiskalstrukturen für den Euro arbeiten, denken wir, dass Spaniens und Italiens Märkte im globalen Anleihenspektrum bessere Chancen bieten als andere Märkte.Die Schaffung des Euro war eine politische Entscheidung, und noch immer ist die Politik eine Quelle von Volatilität. Die Herausforderung für Anleger besteht darin, zwischen Marktrauschen und Marktsignalen zu unterscheiden.