Merkel und Conte fordern Solidarität

Vor dem EU-Gipfel zum wirtschaftlichen Aufbau nach der Coronakrise suchen Berlin und Rom Annäherung

Merkel und Conte fordern Solidarität

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte haben wenige Tage vor dem EU-Gipfel zu Geschlossenheit und Solidarität in Europa aufgerufen. Bis dato ist noch offen, ob sich die EU-Regierungschefs über die Finanzfragen zum Wiederaufbau nach der Coronakrise einigen können. wf/bl Berlin/Mailand – “Das ist die Zeit der Solidarität”, sagte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte nach einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Schloss Meseberg vor Journalisten: “Wir dürfen uns nicht zerstreiten und teilen lassen.” Conte mahnte an, schnell zu handeln. Sonst wäre eine Fragmentierung Europas die Folge.Ende der Woche beraten die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen bis 2027 und die Vergabe der Mittel von 750 Mrd. Euro aus dem schuldenfinanzierten Wiederaufbaufonds. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, 500 Mrd. Euro als Zuschüsse und 250 Mrd. Euro als Kredite zu vergeben. Die “sparsamen vier” – Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden – wollen die Mittel nur als Kredite ausreichen und zwingend mit Strukturreformen verbinden.”Es geht neben dem Schutz der Gesundheit vor allen Dingen um den wirtschaftlichen Aufbau”, sagte Merkel mit Blick auf die bevorstehenden Beratungen am Freitag und Samstag. Sie ließ offen, ob es zu einer Einigung kommen kann. Der Weg dahin sei noch sehr weit, unterstrich die Kanzlerin. Merkel sprach von einem “großen humanitären Desaster, aber auch der großen wirtschaftlichen Schwäche”, aus der die EU “möglichst gut” herauskommen solle.Jeder werde noch seine nationalen Interessen hinzufügen, aber Deutschland und Italien seien mit der Grundstruktur des Vorschlags von EU-Ratspräsident Charles Michel zum Fonds für die nächste Generation in Europa einverstanden, sagte Merkel: “Deutschland hat genauso wie Italien und alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Interesse an einem funktionierenden Binnenmarkt.” Es sei eine gute Idee der Kommission, die Mittelvergabe an das europäische Semester zu koppeln und Vereinbarungen mit den Mitgliedstaaten zu schließen. Die Mittel sollen in Investitionen in die Zukunft fließen, hielt Merkel fest. Werbetour durch EuropaConte tourt bereits seit einer Woche durch Europa und wirbt um Zustimmung für ein möglichst großes europäisches Hilfspaket, dessen Hauptnutznießer Rom sein soll. Während er in Portugal und Spanien weitgehend Zustimmung erhielt, biss er bei seinen Besuchen in Den Haag und Wien weitgehend auf Granit. Ginge es nach Conte, bekäme er bei der Verwendung der Mittel von 173 Mrd. Euro, davon 82 Mrd. Euro in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen, weitgehend freie Hand. Das Land ist dringend auf die Hilfen angewiesen. Denn die Wirtschaft wird nach Einschätzung der EU in diesem Jahr um 11,2 % schrumpfen, die Arbeitslosenquote auf 12,4 % steigen und die Verschuldung von schon hohen 135 % auf 160 % des Bruttoinlandsprodukts oder mehr steigen.Doch Contes Regierung ist so zerstritten und schwach, dass sie sich noch nicht einmal darauf einigen kann, ob sie den sehr zinsgünstigen Kredit in Höhe von 36 Mrd. Euro aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für die Sanierung des Gesundheitssystems annehmen will oder nicht. Auch für die Verwendung der Mittel aus dem Recovery Programme hat Conte keinen klaren Plan. Der Ökonom Carlo Cottarelli vermisst in dem Sammelsurium aus Investitionen, Abbau der Bürokratie, Steuersenkungen und vielem mehr klare Prioritäten.Die “sparsamen vier” sind aber auch misstrauisch, weil sich Italien schon in der Vergangenheit selten an europäische Reformvorgaben hielt, aber dennoch mit großer Nachsicht behandelt wurde. Dabei hinkt Italien auch bei der Umsetzung europäischer Direktiven weit hinterher, ob es nun um die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie (Bolkenstein) oder die Sicherheit von Straßentunnels geht. Auch dass etwa das Rentenalter trotz riesiger demografischer Probleme herabgesetzt wurde, stößt in etlichen Ländern auf Missfallen. Es kommt hinzu, dass das Privatvermögen der Italiener deutlich höher ist als das der Deutschen. Eine Vermögensteuer schließt Rom trotzdem aus.