Mexiko in gefährlichem Strudel

Regierung scheint angesichts der landesweiten Massenproteste überfordert - Investitionen brechen weg

Mexiko in gefährlichem Strudel

Von Andreas Fink, Buenos AiresMexiko war ein miserables Jahr 2017 vorausgesagt worden. Doch nach dem Verlauf der ersten gut zehn Tage des neuen Jahres fragen sich viele, ob nicht alles noch viel schlimmer kommt. Während sich eine riesige Protestwelle über fast alle Bundesstaaten ausbreitet, scheint die Regierung überfordert, das Land auf die Auswirkungen des Machtwechsels in Washington vorzubereiten. Mexiko drohen deutliche Verluste ausländischer Investitionen, ein weiterer Kursverfall des Peso, eine Zunahme der Inflation. Und es sind erhebliche soziale Konflikte zu befürchten, wenn Hunderttausende aus den USA abgeschobene Mexikaner in ein Land zurückkehren sollen, dessen Fabriken schließen müssen.Nach Donald Trumps Amtsübernahme stehe Mexiko ein “Horrorfilm” bevor, hatte Zentralbankchef Agustín Carstens kurz vor Silvester öffentlich befürchtet. Wenige Tage später startete Mexikos Regierung ohne US-Zutun bereits das Vorprogramm. Zum Jahreswechsel erhöhte sie die Treibstoffpreise um 20 %. Gleichzeitig stiegen auch die Tarife für Gas, Strom und Beförderung, was wiederum viele Waren verteuerte. Diese Preisanhebung war im Oktober mit den Stimmen der Opposition im Kongress beschlossen worden als Teil eines Sparplans, der darauf abzielt, die bislang subventionierten Energiepreise bis zum Jahresende frei floaten zu lassen.Angeführt von Lastwagen- und Taxifahrern, gingen viele Bürger auf die Straßen. Kriminelle Gruppen nutzen den Aufruhr, um Elektronikläden und Supermärkte zu plündern. Hunderte Geschäfte wurden in der ersten Januarwoche verwüstet und mehr als 1 000 Menschen festgenommen. Sechs Menschen starben. Mit solchem Furor hatte niemand in der Regierung gerechnet. Wie seine wichtigsten Minister war Präsident Enrique Peña Nieto in den Ferien, die er erst abbrach, als die Proteste schon landesweite Ausmaße angenommen hatten. Seine achtminütige TV-Ansprache gipfelte in der Frage an das Volk: “Was hätten Sie denn gemacht?” Alternativ, stellte er dar, hätte er allenfalls im Gesundheits- oder Bildungssystem sparen können.Vor drei Jahren war Peña Nieto noch auf dem Cover des “Time”-Magazins. Damals hatte der heute 50-Jährige mit erheblichem politischen Instinkt die bislang unvorstellbare (Teil-)Privatisierung des Erdölriesen Pemex eingeleitet. Doch diese Verve ist ebenso dahin wie das Versprechen, wirtschaftlich pro Jahr um 5 % zu wachsen. Auf 1,8 % schätzt die Bank BBVA Bancomer die Zunahme für 2016 ein, zu wenig, um die Armut zu reduzieren, die auch nach 24 Jahren nordamerikanisches Freihandelsabkommen Nafta noch immer jeden zweiten Mexikaner quält.Als Peña Nieto im Vorjahr Donald Trump bewirtete, waren viele Mexikaner entsetzt. Der Mann, der den Trump-Besuch organisiert hatte und der deshalb vom Posten des Finanzministers zurücktreten musste, wurde jetzt aber reaktiviert: Luis Videgaray ist nun Mexikos Außenminister. Der an der US-Universität MIT ausgebildete 48-jährige Ökonom soll mit seinem guten Draht in die USA ein Erdbeben verhindern. Dieses träte wohl ein, sollte Trump, wie im Wahlkampf versprochen, Nafta aufkündigen. Währung immer schwächerKaum war die Wiederkehr Videgarays publik, war es der künftige US-Präsident, der via Twitter die erste finanzielle Schockwelle des Jahres auslöste. Trump drohte General Motors und Toyota hohe Importzölle an, falls diese ihre Investments in neue Fabriken südlich der Grenze nicht überdenken sollten. Dass Ford fast zeitgleich bekannt gab, eine geplante 1,6-Mrd.-Dollar-Investition in der Stadt San Luis Potosí zurückzuziehen und stattdessen 700 Mill. Dollar in Michigan zu investieren, ließ den Peso, der in den letzten zwei Jahren schon mehr als 50 % seines Wertes verloren hatte, auf den Niedrigrekord von 21,48 zum Dollar abstürzen. Inzwischen sind es bereits um die 22 Peso.”Das wird nicht die letzte Investition dieser Größenordnung sein, die abgezogen wird”, befürchtet Ex-Außenminister Jorge Castañeda, heute Professor in New York. “Es steht viel auf dem Spiel”, sagt Alonso Cervera, Lateinamerika-Chefökonom bei Credit Suisse. “46 % aller seit 1999 eingeströmten Auslandsdirektinvestments stammen aus den USA. Nun werden viele Investoren genau hinsehen, wer Ford folgt.”Unweit des nun verlassenen Bauplatzes fertigt General Motors seit 2008 ihre Chevrolet-Modelle Aveo und Trax, und in der Nähe feierte im Juni eine neue BMW-Fabrik Richtfest. In dem Werk, in das der Münchner Konzern 1 Mrd. Dollar stecken will, sollen von 2019 an Modelle der 3er-Serie vom Band rollen – bestimmt vornehmlich für den US-Markt. 80 % aller in Mexiko gefertigten Autos werden in die USA exportiert.Mit seinen umfassenden Freihandelsabkommen und Bruttolöhnen von 8 Dollar pro Stunde wurde Mexiko zur größten Autobaunation Lateinamerikas. Die 17 Werke fast aller namhaften Hersteller produzieren jährlich mehr als 3 Millionen Fahrzeuge, dreimal so viel wie noch vor 22 Jahren. Der Sektor allein generiert mehr als 3 % des mexikanischen Bruttoinlandsproduktes und repräsentiert etwa ein Zehntel aller ausländischen Investitionen. 1 Million Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab. Nach Fords Rückzieher sagte Trump: “Das ist erst der Anfang.”