LEITARTIKEL

Mikado in Warschau

Die Klimakonferenzen der Vereinten Nationen (UN) fordern Teilnehmern und Beobachtern seit dem ersten Weltklimagipfel 1992 viel Geduld und Geschicklichkeit ab. Spätestens seit der Konferenz in Kopenhagen, wo die Staatengemeinschaft 2009 bei den...

Mikado in Warschau

Die Klimakonferenzen der Vereinten Nationen (UN) fordern Teilnehmern und Beobachtern seit dem ersten Weltklimagipfel 1992 viel Geduld und Geschicklichkeit ab. Spätestens seit der Konferenz in Kopenhagen, wo die Staatengemeinschaft 2009 bei den Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen für das 1997 beschlossene Kyoto-Protokoll an einer Mischung aus zu hohen Erwartungen und mangelhafter Vorbereitung scheiterte, gilt bei den Treffen der Klimadiplomaten das Prinzip Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert.So auch in Warschau, wo in den vergangenen zwei Wochen die Grundlagen für ein Abkommen zur Diskussion standen, das dem bis 2020 prolongierten Rechtsrahmen von Kyoto folgen soll. Wenige Stunden vor dem geplanten Ende der Beratungen zogen Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, der World Wildlife Fund, Oxfam oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland deshalb entnervt aus dem Tagungszentrum aus.Der Protest gehört mit zur Inszenierung der Verhandlungen, die es schwer hatten, neben den Weiterungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, Chinas Reformeifer und der Regierungsbildung in Deutschland in die Schlagzeilen zu kommen. Der Frust der Interessengruppen, die bei den Klimaverhandlungen Beobachterstatus haben, ist dennoch verständlich. Nicht allein deswegen, weil es während der Konferenz empfindliche Rückschläge wie die Ankündigungen Japans und Australiens gab, ihre bestehenden Klimaschutzziele drastisch zu kürzen. Sondern vor allem deshalb, weil in Warschau die Hindernisse für ein neues Klimaabkommen zwischen den Staaten kaum bewegt wurden.Schaffen die Delegierten aus 190 Staaten in der fast schon traditionellen Verlängerung keinen Durchbruch, gibt es weiterhin kein gemeinsames Verständnis darüber, wie die Lasten des Klimaschutzes zwischen Industrie- und Schwellenländern in Zukunft verteilt werden sollen. Der Westen muss vorangehen und verbindliche Reduktionsziele für den Ausstoß von Treibhausgasen vorlegen, fordern die Schwellenländer mit China an der Spitze. Eine derartige Zweiteilung beim Klimaschutz – wie im Rahmen des Kyoto-Protokolls umgesetzt – wird es nach 2020 nicht mehr geben, ist die Position westlicher Staaten mit den USA an der Spitze.Es gibt außerdem keinen Konsens über einen Mechanismus zum Ausgleich von Verlusten und Schäden, die veränderte klimatische Bedingungen vor allem in Ländern der südlichen Hemisphäre verursachen. Eine entsprechende Vereinbarung muss sicherstellen, dass ärmere Nationen für die Folgen der Klimaveränderung entschädigt werden, lautet die Forderung. Finanzspritzen aus dem Norden kann es nicht automatisch für Klimafolgeschäden, wohl aber für die Verbesserung der Anpassungsfähigkeit an Klimaveränderungen in den Ländern geben, ist die Haltung der USA und der Europäischen Union, die mit Forschung und technischer Hilfe unterstützen wollen.Auch ein verbindlicher Zeitplan für die Vorschläge der Delegationen zu konkreten Formulierungen in einem Folgeabkommen, das 2015 beschlossen werden soll, ist nicht in Sicht. Nach Einschätzung von Beobachtern war es in Kopenhagen auch deshalb nicht zu einer Einigung gekommen, weil mit der Arbeit an konkreten Texten erst kurz vor der Konferenz begonnen wurde und am Ende die Zeit nicht reichte.Während der bunte Tross der Klimaunterhändler, der im nächsten Jahr nach Lima weiterzieht, bevor es nach Paris zum Endspiel um ein Kyoto-Folgeabkommen geht, gebannt auf den Haufen Mikadostäbchen schaut, gibt es an anderer Stelle Bewegung: Die norwegische Storebrand hat mit ihrem 75 Mrd. Dollar schweren Fonds seit dem Sommer Beteiligungen an 24 Kohle- und Ölsandunternehmen abgestoßen. Eine Gruppe von 70 Investoren, darunter auch die zwei größten Pensionsfonds aus Kalifornien sowie F & C Management, die 3 Bill. Dollar veranlagt, forderten im September die 40 größten Öl-, Gas-, Kohle- und Stromunternehmen auf, die Risiken des Klimawandels für ihre Geschäftsaussichten zu erfassen.Doch nicht nur jene 90 Unternehmen, die nach Einschätzung des Climate Accountability Institutes aus Colorado allein für zwei Drittel der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, könnten von Klimaveränderungen in der Investorengemeinde betroffen sein, noch bevor sie die regulatorischen Folgen eines Klimaabkommens spüren. Denn mit Blick auf mögliche Klimafolgeschäden in Wertschöpfungsketten ihrer Portfoliounternehmen ist Investoren das Prinzip Mikado häufig zu riskant.——–Von Stefan Paravicini Wer sich zuerst bewegt, verliert, war in Warschau das Motto des Weltklimagipfels. Für Investoren ist das Prinzip Mikado mit Blick auf Klimafolgeschäden riskant.——-