Mit harten Bandagen ins Präsidentenamt

Republikaner setzen populistische Akzente und holen die Reaganomics aus der Schublade - Demokraten versprechen soziale Wohltaten

Mit harten Bandagen ins Präsidentenamt

Die Wahl zum nächsten US-Präsidenten wirft ihre Schatten voraus. Die Kandidaten der Demokraten und Republikaner laufen sich schon mal warm. Populistische und bisweilen schrille Töne bestimmen die Debatte. Allen mangelt es noch an einem stimmigen inhaltlichen Konzept.Von Peter De Thier, WashingtonAlle wollen sie die Mittelklasse entlasten, das Wachstum ankurbeln und multinationale Konzerne motivieren, ihre Produktion in die USA zurückzuverlagern – oder überhaupt erst anzusiedeln. Darüber hinaus unterscheiden sich die wirtschaftspolitischen Pläne der aussichtsreichsten US-Präsidentschaftskandidaten aber nicht nur im Stil, sondern auch in der Substanz deutlich: Demokraten setzen auf Kooperation, während etwa der Republikaner Donald Trump eher die Brechstange bevorzugt. Sollte Letzterer gewinnen, würde das auch Europa in den Verhandlungen zur transatlantischen Freihandelszone (TTIP) zu spüren bekommen. Hillary Clinton will den unter Präsident Barack Obama initiierten staatlichen Interventionismus ausbauen und mit Steuerpolitik soziale Ungleichgewichte abbauen. Republikaner dagegen fordern niedrigere Steuersätze und insgesamt mehr Sparsamkeit.Bevor sie über den peinlichen Skandal im Zusammenhang mit dienstlichen E-Mails gestolpert ist, die sie als Außenministerin von einem privaten Server aus verschickt hatte, galt die frühere First Lady Hillary Clinton als Favoritin für das Präsidentenamt. Zwar hat sie in Wählerumfragen inzwischen einiges eingebüßt. Gleichwohl dürfte die demokratische Hoffnungsträgerin weiterhin bessere Chancen auf einen Wahlsieg im November 2016 haben als jeder republikanische Konkurrent. Ein Grund mag darin liegen, dass kein anderer Kandidat seine Pläne für die Wirtschaftspolitik bislang so konkret artikuliert hat wie Clinton. Clinton moderater als ObamaClinton präsentiert sich einerseits als moderate Demokratin, also gemäßigter als ihr früherer Chef Barack Obama, den die Republikaner seit Jahren als verkappten Sozialisten beschimpfen. In ihrem Wirtschaftsprogramm bezieht Obamas frühere Chefdiplomatin wie der amtierende Präsident aber auch so manche sozialliberale Positionen. So will sie in Anlehnung an die Empfehlungen der G20-Staaten den Geldhahn weit aufdrehen, um massive Infrastrukturinvestitionen zu finanzieren. Dazu soll eine nationale Infrastrukturbank gegründet werden, die staatliche Mittel ebenso wie private Gelder bündelt und Investoren bereitstellt.Wohlhabende sollen höher und die Mittelklasse etwas weniger besteuert werden. Zudem sollen Steuererleichterungen und der Abbau regulatorischer Hürden die Wettbewerbsfähigkeit von Klein- und Mittelbetrieben verbessern und somit neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Wall Street unter DruckNoch stärker als Obama will Clinton sämtlichen Akteuren an der Wall Street auf den Zahn fühlen: Institutionelle Investoren und Mehrheitsaktionäre, die nach Clintons Einschätzung zum eigenen Vorteil bewusst Boom-and-Bust-Zyklen inszenieren, wie es heißt, will sie schärfer kontrollieren als jeder Präsident in der Geschichte. Sie will das Dodd-Frank-Gesetz, das Rahmenwerk der neuen Finanzarchitektur, zwar beibehalten, aber zugleich neue regulatorische Instanzen einführen, um Manipulationen und exzessiven Risiken einen Riegel vorzuschieben.In deutlichem Kontrast zum recht konkreten Wirtschaftsprogramm der demokratischen Favoritin beschränkt sich der republikanische Spitzenreiter Donald Trump bis jetzt nur auf reißerische “Soundbytes”. Während Clinton den Wählern eine Erklärung schuldig bleibt, wie sie mit dem transpazifischen Freihandelsabkommen TPP oder der transatlantischen Freihandelszone TTIP umzugehen gedenkt, hat Trump längst zum Angriff geblasen. Als bester “Dealmaker” Amerikas, wie er sich nennt, würde er sämtliche bestehende Handelsabkommen, die der US-Wirtschaft angeblich alle schaden, unter die Lupe nehmen, Schwachstellen aufdecken, und im Bedarfsfall die Verträge aufkündigen. Trump hat China im VisierEin besonderes Anliegen ist es dem Milliardär, die amerikanische Wettbewerbsposition gegenüber China zu verbessern, dessen Wechselkursmanipulationen die US-Wirtschaft “total abwürgen”, wie er formuliert. Trump würde Vergeltungszölle verhängen und sogar erwägen, den bilateralen Handel einzuschränken. Verhandlungsführer für die USA würde unter ihm der legendäre Übernahmehai Carl Icahn werden, “denn auch er macht tolle Deals”, posaunt der Exzentriker. Um US-Multis zu überreden, auf Auslandsproduktion zu verzichten und lieber in den USA neue Stellen zu schaffen, würde sich der Republikaner zunächst die Vorstandschefs vorknöpfen und ihnen ins Gewissen reden. Funktioniert das nicht, würde er von US-Auslandsniederlassungen gefertigte Produkte beim Reimport so hoch besteuern, dass ungeachtet der höheren Löhne die Inlandsproduktion kostengünstiger wäre, kündigt er an.Für eine republikanische Wirtschaftspolitik der alten Schule plädiert indes Floridas früherer Gouverneur Jeb Bush, der in Umfragen zwar deutlich zurückliegt, aber eine großzügige finanzielle Unterstützung erhält und auf die Rückendeckung des republikanischen Establishments zählen kann. Er wird deswegen noch als Co-Favorit gehandelt. Bush will die staatliche Regulierung reduzieren und Ausgabenkürzungen sowie eine drastische Vereinfachung des Steuersystems durchsetzen. “Wir sollten anstelle von 7 nur 3 Einkommenssteuerklassen haben, die von 10 bis maximal 28 Prozent reichen”, knüpft er an die Reaganomics-Anhänger der 80er Jahre an. Ihnen zufolge fördern niedrigere Steuersätze den Konsum und die Investitionen, was bei einer verbreiterten Steuerbasis in der Endabrechnung dann auch mehr Geld in die Staatskasse spülen soll.Auffallend sind bei sämtlichen Kandidaten jene Themen, zu denen sie schweigen. Während Clinton wenig zur Handelspolitik sagt und sich zwar prinzipiell für einen ausgeglichenen Haushalt ausspricht, dafür aber angesichts ihrer großzügigen Ausgabenpolitik kein Rezept parat hält, fehlt es Trump ungeachtet seiner Drohgebärden und provokanten Sprüche an jeglicher konzeptioneller Vorarbeit. Ein umfassendes wirtschaftspolitisches Programm gibt es noch nicht; und auf seiner Website beschränkt sich der Link zu den “politischen Positionen” auf die Einwanderungspolitik sowie das Recht der Bürger, eine Schusswaffe zu führen.Sämtlichen Kandidaten, auch den aufstrebenden republikanischen Außenseitern wie Carly Fiorina und Marco Rubio, ist es ein Anliegen, multinationale Konzerne zu bestrafen, die im Ausland erzielte Gewinne am Finanzamt vorbeischleusen. Sie meinen, ihnenüber eine Senkung des im internationalen Vergleich hohen Körperschaftssteuersatzes einen Anreiz bieten zu müssen, mehr in den USA zu produzieren. Auch haben die Republikaner den ausufernden Staatsschulden, die inzwischen 19 Bill. Dollar überschritten haben, den Kampf angesagt. Parlamentarische MehrheitFür die Effektivität der Wirtschaftspolitik des 45. US-Präsidenten wird indes entscheidend sein, ob die zeitgleich stattfindenden Kongresswahlen zu einer Kräfteverschiebung im Parlament führen. Bleiben die Republikaner in beiden Kammern in der Mehrheit, wovon nach der aktuellen Stimmung im Lande auszugehen ist, stünde eine Präsidentin Clinton mit ihren Ausgabenprogrammen und sozialen Initiativen auf verlorenem Posten. Bush hingegen hätte alle Chancen, eine Neuauflage der Reagan’schen Steuerreformen in Gesetzesform zu gießen. Gewänne einer der Außenseiter oder gar der Paradiesvogel Trump, würden die Karten völlig neu gemischt. Letzterem würden dann Carl Icahn und andere “Dealmaker” mit Rat und Tat zur Seite stehen.