Konjunktur

Möglich ist alles

Die Grundlagen für einen Aufschwung der deutschen Wirtschaft sind gelegt. Der Ukraine-Krieg hat ihn allerdings erstmal ausgebremst – und ist entscheidend für den weiteren Konjunkturverlauf hierzulande.

Möglich ist alles

Das R-Wort lässt die deutsche Wirtschaft nicht los. Rezession. Nach dem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts 2020 schien es, als ließe sich die Corona-Scharte doch relativ schnell wieder ausmerzen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat der Erholung allerdings ein jähes Ende bereitet. Folgerichtig haben Ökonomen ihre Wachstumsprognosen kräftig nach unten korrigiert. Inwieweit nun aber tatsächlich eine Rezession oder gar Stagflation, also eine Phase geringen Wachstums bei hoher Inflation, zu erwarten ist oder einfach nur der Aufschwung aufgeschoben ist – darüber gehen die Meinungen auseinander. Wobei sich für jedes Szenario gute Gründe finden.

Einig sind sich die Auguren, dass die bisherigen Voraussagen, die für das laufende Jahr bei um die dreineinhalb bis viereinhalb Prozent lagen, nunmehr zu hoch gegriffen sind. Ein erneutes Schrumpfen der Wirtschaft scheint schlimmstenfalls möglich, heißt es. Darauf sollte man sich einstellen, auch wenn derzeit die direkten Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der bisherigen Sanktionen noch überschaubar sind. Ebenso einig ist sich die Ökonomenschar, dass die Inflation wegen der schier explodierenden Energie- und Rohstoffpreise höher als zuvor erwartet einzuschätzen ist. Zudem wird der Umbau der Energieversorgung, um die Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu reduzieren, sowie der Weg zu mehr Klimafreundlichkeit die Preise auch längerfristig auf ein höheres Level heben. Was wiederum das Lohnwachstum in Schwung versetzen könnte und die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale schürt. Der Lohndruck ist zwar erst latent vorhanden, die Gefahr aber nicht von der Hand zu weisen.

Dem Arbeitsmarkt wird fast unisono bescheinigt, dass er im Großen und Ganzen robust bleibt, wenn auch etliche Unternehmen zwischenzeitlich wieder Zuflucht in der Kurzarbeit suchen werden. Was völlig in Ordnung ist, hat sich doch dieses Instrument bewährt, um die Mitarbeiter zu halten, die dringend benötigt werden, wenn die Geschäfte wieder anlaufen. Denn der Fachkräftemangel poppt in Umfragen zunehmend als ernst zu nehmendes Produktionshemmnis auf.

Für einen nur aufgeschobenen Aufschwung spricht einiges. Wenn die Pandemie abklingt und sich vor allem die Lieferketten wieder einruckeln – dann geht es wieder aufwärts, so lautete das Mantra. Und in der Tat, die konsumnahen Dienstleister hatten schon nach dem ersten Lockdown 2020 gezeigt, wie schnell das Geschäft wieder brummt. Warum sollte es also diesmal anders sein? Denn die Bevölkerung sehnt sich – auch wenn die Restriktionen zuletzt nicht mehr ganz so strikt waren – nach sozialen Kontakten und Freizeitaktivitäten und ist durchaus konsumwillig. In der Industrie sorgen die proppenvollen Auftragsbücher für Zuversicht, auch wenn der Auftragsbestand zuletzt erstmals seit Mitte 2020 wieder etwas gesunken ist.

Allerdings haben frühere Energiepreisschocks gezeigt, dass private Haushalte bei sinkender Kaufkraft weniger ausgeben. Nun könnte man meinen, dass die Corona-Ersparnisse – von knapp 200 Mrd. Euro – für Schwung sorgen. Theoretisch ja, allerdings sind diese Zwangsersparnisse zu ungleich verteilt, um wirklich Großes auszurichten. Gerade einmal 22% der Haushalte konnten tatsächlich mehr auf die hohe Kante legen. Zudem lassen höhere Energie- und Lebensmittelpreise weniger Spielraum für anderweitigen Konsum. Die Unternehmen wiederum werden angesichts der steigenden Unsicherheit Investitionen erst einmal weiter hinauszögern. Und die erneut aufflammenden Coronazahlen in China lassen die stark exportlastige Industrie verstärkt um ihre Lieferketten bangen. Mal ganz zu schweigen von weiteren Sanktionen oder gar einem Stopp russischer Energielieferungen. Letzterer würde nicht nur Produktion und Außenhandel ausbremsen, sondern könnte auch Unternehmen, von denen viele ohnehin finanziell durch die zwei Coronajahre gebeutelt sind, gänzlich in den Abgrund reißen. Der Staatskonsum hingegen kann nur steigen, denn die Regierung nimmt viel Geld in die Hand zur Krisenbekämpfung, etwa für Stützungsmaßnahmen für Bürger und Unternehmen, zur Flüchtlingsaufnahme und ab 2023 für höhere Verteidigungsausgaben. Dies trägt immerhin zur Konjunkturstabilisierung bei.

Vorerst werden die höheren Rohstoff- und Energiepreise, die Sanktionen, neuer Lieferkettenstress, vor allem aber die höhere Unsicherheit die Konjunktur sicher – auch spürbar – bremsen. Noch Schlimmeres scheint möglich, je nach Fortgang des Ukraine-Krieges. Auch wenn die Ausgangslage gut ist.

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