Moskauer Wähler weisen Präsident Putin in die Schranken
Von Eduard Steiner, MoskauDie Massenproteste der vergangenen Monate – immerhin die größten seit Anfang 2012 – und die damit einhergehenden vielen Verhaftungen hatten einen Vorgeschmack darauf gegeben, dass die Kommunal- und Regionalwahlen in Russland zu einem wahren Tauziehen zwischen dem Kreml und der Opposition werden würden. Und dass die Opposition trotz beispielloser Beschränkungen bei der Kandidatur ein kräftiges Lebenszeichen geben könnte. Mehr als ein LebenszeichenAm Ende gab sie nicht nur ein Lebenszeichen. Am Ende zeigte sie den Machthabern in einer fast vergessenen Deutlichkeit die Grenzen auf. So behielt die regierende Partei “Einiges Russland” von Präsident Wladimir Putin zwar in den meisten Regionen ihre Mehrheit der Abgeordnetenmandate und trug auch bei den Gouverneurswahlen den Sieg davon. In der Hauptstadt Moskau mit ihren zwölf Millionen Einwohnern jedoch musste sie gehörig Federn lassen. Lediglich 25 der 45 Sitze im Stadtparlament konnte sie dort verteidigen. “Die Regierungspartei verliert Moskau”, titelte etwa die renommierte Wirtschaftszeitung “Wedomosti” am Montag.Das starke Abschneiden der Opposition verdankt sich vor allem der “smarten Abstimmung”, zu der der prominenteste Regierungskritiker Alexej Nawalny, der selbst nicht zur Wahl zugelassen war, aufgerufen hatte. Nawalny, der mit seiner Aufdeckung von Korruption in Russland dem Kreml der größte Dorn im Auge ist, hatte vorgeschlagen, dass die Bürger alles wählen sollten, nur nicht “Einiges Russland”, um so ihr nun schon zwei Jahrzehnte währendes Monopol zu brechen. Der – wohlgemerkt in Moskau viel diskutierte und umstrittene – Schachzug habe geholfen, die Proteststimmen nach den Protesten und nach der Nichtregistrierung einiger Kandidaten zu strukturieren, sagte etwa der Moskauer Politologe Sergej Poljakow.Dass bei diesem Schachzug nicht in erster Linie liberale Oppositionsparteien das Rennen machen, wie dies im Westen oft fälschlicherweise erwartet wird, war von Anfang an klar gewesen. So profitierten neben der gemäßigten Partei Jabloko vor allem die Kommunisten. In der ostrussischen Region Chabarowsk an der Pazifikküste etwa gingen überhaupt die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei Russlands und die Kommunisten als Sieger vor “Einiges Russland” aus den Wahlen hervor.Trotz der empfindlichen Ohrfeige für den Kreml bezeichnete Putins Sprecher Dmitri Peskow den Wahlkampf für “Einiges Russland” als Erfolg. “Im ganzen Land hat die Partei ihre politische Führung gezeigt”, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Auch Regierungschef Dmitri Medwedjew erklärte, seine Partei habe die Führungsposition behauptet. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin gestand immerhin zu, dass es die “emotionalsten und tatsächlich kompetitivsten” Wahlen der vergangenen Jahre waren.Im Jahr 20 nach Putins Amtsantritt durchläuft Russland wirtschaftlich de facto eine Stagnation mit rückläufigen Realeinkommen seit mehreren Jahren. Investitionen fließen nur mau, weil Unternehmer – zuletzt auffällig häufig – drangsaliert und kriminalisiert werden. Dies und die fehlende Aussicht auf baldige Besserung stoßen den Bürgern nun, nachdem sich die Euphorie über die Krim-Annexion weitgehend gelegt hat, genauso sauer auf wie die Tatsache, dass vor allem der aufgeblasene staatliche Sicherheitsapparat und die Beamten fürstlich bedient werden. Auslöser der Proteste in Moskau war überdies, dass Oppositionskandidaten schikaniert und nicht zur Wahl zugelassen wurden. Niedrige WahlbeteiligungInsgesamt waren am Sonntag 56 Millionen russische Bürger zur Stimmabgabe aufgerufen. Ins Auge springt, dass die Wahlbeteiligung sehr niedrig war. In Moskau etwa betrug sie gerade mal 21,77 %.