Nach dem Rücktritt
Der Rücktritt der SPD-Politikerin Andrea Nahles vom Partei- und Fraktionsvorsitz hat die große Koalition in Berlin erneut in die Krise gestürzt. Wie lang hält die Regierung noch? Hat sie noch Kraft, politisch etwas zu bewegen? Oder stehen bald Neuwahlen an? Nahles hat die Konsequenz aus dem schleichenden Verfall der Wählerzustimmung für die ehrwürdige Arbeiterpartei gezogen, der sich im Ergebnis der Europawahl manifestierte. Die SPD fiel auf Platz 3 hinter Union und Grünen. In der Fraktion gab es keine Unterstützung mehr für Nahles, die so etwas wie die letzte Hoffnung für die Partei war – weniger ihrer Person wegen als wegen des Tempos, mit dem die SPD in den vergangenen Jahren ihr Spitzenpersonal verschlissen hat. Erschreckend ist, dass der Basis nichts anderes einfällt, als erneut die Parteispitze zu stürzen, ganz so als ob fähige Nachfolger Schlange stünden. Kein Heilsbringer ist in Sicht. Es fehlt der Partei vielmehr an Ideen, die eigentlich für die SPD in der digitalen Arbeitswelt zahlreich vorhanden wären.Die neu eingesetzte SPD-Interimsführung aus drei Vizeparteivorsitzenden zielt darauf, die Lage zu beruhigen und die Partei in der Regierung zu stabilisieren. Auch CDU und CSU signalisierten klar, dass sie das schwarz-rote Bündnis fortsetzen wollen. Für Union und SPD wären Neuwahlen angesichts der schwachen Wählerzustimmung derzeit gleichermaßen problematisch. Die Union droht, noch hinter die Grünen zu rutschen. Eine Jamaika-Koalition der Union mit FDP und Grünen ist unwahrscheinlich. Die Grünen wollen wegen ihres Höhenflugs nicht (mehr), die FDP zumindest nicht mit einer Kanzlerin Angela Merkel.So sehr es nutzen würde, die Grünen im Fall von Neuwahlen im Realitätstest einer Regierungsbeteiligung zu sehen, so wenig hilfreich wäre es, wenn der Bund schon wieder in den Wahlkampfmodus schaltet. In Europa stehen wichtige Personal- und Richtungsentscheidungen an, bei denen Deutschland handlungsunfähig wäre. Ähnlich sieht es für den Handelsstreit mit den USA oder internationale Sicherheitsfragen aus. In drei ostdeutschen Bundesländern wird im Herbst gewählt. Große Unzufriedenheit dort hat der AfD Auftrieb gegeben. CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer entglitt die Formulierung, die Koalition müsse mit der Arbeit endlich beginnen – eineinhalb Jahre nach der Bundestagswahl. Ungelöste Themen gibt es genug, darunter Grundrente, Grundsteuer, wirtschaftsfreundliche Klimapolitik, Abbau des Solidaritätszuschlags oder die Festigung der Sozialsysteme. Regiert endlich!, möchte man rufen.