Nach May-Schlappe wächst Hoffnung auf sanften Brexit

Britischer Wahlausgang stellt Verhandlungsplan in Frage - EU drängelt

Nach May-Schlappe wächst Hoffnung auf sanften Brexit

Von Andreas Heitker, BrüsselDas Ergebnis der britischen Unterhauswahlen hat eine Verständigung bei den anstehenden Brexit-Gesprächen und eine Abkehr von einer kompromisslosen Verhandlungsführung Londons wahrscheinlicher gemacht. Damit steigt auch die Hoffnung, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU weit weniger Wachstumsverluste auf beiden Seiten mit sich bringen wird als befürchtet. Sowohl Ökonomen als auch führende Politiker aus Brüssel interpretieren die Wahlschlappe von Premierministerin Theresa May auch als eine Entscheidung gegen einen harten Brexit, so dass sich May nun auch erst einmal eine neue Verhandlungsstrategie zulegen muss.Ihr fehlendes klares Handlungsmandat hat zunächst aber neue Unsicherheiten zur Folge, da der Start der Austrittsgespräche bereits für den 19. Juni geplant ist. “Wir wissen nicht, wann die Brexit-Gespräche beginnen, aber wir wissen, wann sie enden müssen”, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk lakonisch. In einer ersten Stellungnahme nach der Wahl deutete Theresa May allerdings keinerlei Abweichungen von der bisherigen Politik an.In Brüssel verliert man angesichts des unstrukturiert und strategielos erscheinenden Vorgehens der britischen Regierung langsam die Geduld – hat die EU-27 doch schon seit dem vergangenen Oktober einen Chefunterhändler sowie ein dazu gehörendes Brexit-Team am Start und sich auch auf klare Leitlinien für die Gespräche schon längst verständigt. Demnach sollten in einer ersten Verhandlungsphase bereits bis spätestens Jahresende die Themen Bürgerstatus, Irland und finanzielle Schlussrechnung geklärt werden, bevor es im Anschluss um die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien gehen sollte.Die Zweijahresfrist für ein Verhandlungsergebnis und den dazu gehörenden Ratifizierungsprozess läuft Ende März 2019 aus. May hatte damit gedroht, die Verhandlungen scheitern zu lassen, wenn für ihr Land kein gutes Ergebnis herausspringe. Ein solches “No Deal”-Szenario wird von Wirtschaft und Politik in der EU als das schlechteste Szenario bewertet. In deutschen Wirtschaftsverbänden werden bereits die Rufe nach Übergangsregelungen lauter, um wieder Planungssicherheit zu erhalten. Übergangsregeln auf der Basis des Status quo bezeichnet auch der Bundesverband deutscher Banken als unverzichtbar. Eine Verlängerung der Verhandlungsfrist ist theoretisch auch möglich, allerdings nur mit Zustimmung aller 28 EU-Staaten.Nach Einschätzung von Wirtschaftsforschern, etwa des Ifo-Instituts, werden bei einem Brexit für beide Seiten ökonomische Kosten entstehen, wobei im Durchschnitt die verbleibenden EU-Mitglieder wohl weniger als das Vereinigte Königreich verlieren werden. Dass der Brexit keine echten Gewinner kennt, sagt auch die DZ Bank, die jüngst in einer Studie verschiedene Verhandlungsergebnisse durchgespielt hat (siehe Grafik). Demnach wäre das günstigste Szenario der Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen EU und Großbritannien inklusive des Erhalts der Dienstleistungsfreiheit – was von Experten aktuell aber als kaum realistisch erachtet wird. Es zeigt sich aber zugleich auch, dass ein für alle Seiten gesichtswahrendes “Kompromiss”-Szenario, das ebenfalls mit einem Freihandelsabkommen für den Warenverkehr verbunden wäre, mit deutlich weniger Wachstumsverlusten verbunden wäre als ein harter Brexit ohne Einigung.Für die deutsche Wirtschaft ist Großbritannien der drittgrößte Exportmarkt. Das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen wird sich daher sehr konkret in Auftragszahlen und Arbeitsplätzen niederschlagen. Das britische Wahlergebnis könnte jetzt dabei helfen, unnötigen Schaden abzuwenden.—– Nebenstehender Marktplatz- Schwerpunkt Seite 5- Leitartikel Seite 6