Nach Olympia will Brasilien loslegen

Endgültige Absetzung Rousseffs soll Weg für große Reformen freimachen - Wirtschaft schöpft Hoffnung

Nach Olympia will Brasilien loslegen

Olympia in Rio setzt Brasilien zwei Wochen auf Pause. Erst nach den Spielen fällt das finale Urteil über Dilma Rousseff. Sollte die Präsidentin endgültig abgesetzt werden, wird Michel Temer große Reformen angehen. Trotz anhaltender Rezession sieht die Wirtschaft Licht am Ende des Tunnels.Von Andreas Fink, Buenos AiresWenn morgen Abend die 206 Teilnehmerteams ins weite Rund des Maracana-Stadions einmarschieren, wird Dilma Rousseff live dabei sein, jedoch nur an ihrem Fernsehgerät im Palácio da Alvorada in Brasília. Das Wohnrecht im Palast der Morgenröte behielt Brasiliens vorläufig abgesetzte Präsidentin, bis der Senat über ihren endgültigen Rauswurf entscheidet. Doch ihren Platz auf der olympischen Ehrentribüne verlor sie.Die Spiele eröffnen wird Michel Temer, fünfeinhalb Jahre Rousseffs Vize und nun Brasiliens Interimspräsident mit dem erklärten Ehrgeiz, möglichst bald sämtliche Präfixe vor dem obersten Amtstitel loszuwerden. Doch damit wird er sich noch bis zum Ende der Spiele gedulden müssen. Dem Vernehmen nach bat das Internationale Olympische Komitee darum, das Finale um Rousseff erst nach dem Schlussfeuerwerk über dem Maracana anzupfeifen. Die alles entscheidende Senatssitzung soll am 26. August stattfinden, war am Mittwoch zu erfahren.Tatsächlich käme eine olympische Verschnaufpause – womöglich versüßt mit sportlichen Erfolgen etwa im Beach-Volleyball-Stadion von Copacabana – Brasiliens gebeuteltem Nationalstolz zugute nach all dem politischen, ökonomischen und sozialen Taumel, der das Land seit März in seinen politischen Grundfesten erschütterte. Staatspräsidentin Rousseff wurde ihres Amtes enthoben, Kongresspräsident Cunha trat unter massivem Korruptionsverdacht zurück, ebenso mehrere Minister der Übergangsregierung. Einer davon war Romero Jucá, zuständig für Infrastruktur, der in einem abgehörten Gespräch klar dargelegt hatte, dass Rousseffs Absetzung notwendig sei, um die Korruptionsermittlungen im Fall Petrobras zu stoppen.Doch längst hat sich abgezeichnet, dass dieser deutliche Beleg für eine Verschwörung gegen Rousseff dieser ebenso wenig helfen dürfte wie ein inzwischen ergangenes Gerichtsurteil, das besagt, dass ihre Manöver zur Schönung der Staatsfinanzen kein ausreichender Grund für eine Amtsenthebung gewesen seien. In den Umfragen erzeugt die Möglichkeit einer Rückkehr Rousseffs noch niedrigere Sympathiewerte als Michel Temer, den auch nur etwa 14 % der Wähler unterstützen. Darum scheint, so urteilen die meisten Medien, Rousseffs Schicksal besiegelt. Lokalwahlen im OktoberGegen Rousseffs Rückkehr sprechen auch die Lokalwahlen im Oktober. Dabei geht es um die Bürgermeisterämter in vielen wichtigen Städten, darunter Rio und Sao Paulo. “Da werden gewiss Deals zwischen den Parteien geschmiedet, die das Stimmverhalten im Senat miteinbeziehen”, glaubt Ökonomin Sandra Quintela vom Thinktank PACS.Der olympische Frieden dürfte die Wirtschaft des Landes noch ein paar Wochen in jenem Schwebezustand halten, den der Antritt der Interimsregierung ausgelöst hat. Trotz anhaltender Rezession scheint sich bei vielen Unternehmen der Eindruck durchgesetzt zu haben, dass es zumindest nicht weiter abwärts gehen wird. So stieg im Juli zum dritten Mal in Folge der Indexwert, für den der Industrieverband CNI die Zuversicht seiner Mitglieder monatlich abfragt. Freilich liegt der Wert mit 47,3 Punkten noch unter der “Optimismus”-Einstufung, die bei 50 beginnt. Aber zumindest ging das Vertrauen nicht mehr zurück, seitdem Rousseff abgesetzt wurde. Der Handelsverband CNC meldet ebenfalls vorsichtigen Optimismus. Und auch aus der Bauindustrie gab es Lebenszeichen. Im Juni nahm die von der Câmara Brasileira da Indústria da Construçao abgefragte Einschätzung erstmals seit Jahren wieder zu: von 23,2 im Mai auf 26,9 im Juni. Aber immer noch fehlt viel zur 50er Marke.”Noch spüren wir keinen Optimismus, aber zumindest weniger Pessimismus”, sagt José Carlos, der Präsident der brasilianischen Industrie- und Handelskammer CBIC. “Jetzt, wo sich Politik und Ökonomie des Landes normalisieren, beginnen viele Unternehmen über neue Investitionen nachzudenken.” Ihren Niederschlag finden solche Einschätzungen an den Börsen. Der Bovespa-Index stieg seit Jahresanfang um über 30 %, und auch der Real, der im Januar noch bei 4,20 zum Dollar stand, holte inzwischen auf etwa 3,25 auf. Noch ist freilich vieles Spekulation. Die realen Wirtschaftsdaten offenbaren kaum Besserung. So stieg die Arbeitslosigkeit im zweiten Quartal 2016 erneut, sie liegt nun mit 11,3 % um gut ein Drittel über der Vorjahresziffer, das ist gleichzeitig der höchste Wert, seit die Messung 2012 eingeführt wurde. Arbeitsmarktexperten befürchten, dass es zunächst noch mehr Entlassungen geben wird, zumal die Flexibilisierung der Arbeitsgesetze zu den großen Vorhaben zählt, die Michel Temer und sein Team umsetzen wollen, wenn sie denn erst mal fest im Sattel sitzen. Immerhin sank zuletzt die Inflationsrate leicht, auf 8,8 % gegenüber 10,7 % im Januar. Das dürfte vor allem am günstigeren Wechselkurs liegen, allerdings steigen die Preise noch wesentlich stärker als erwünscht. Das Ziel liegt bei 4 bis 5 %.Auch 2016 wird Brasiliens Wirtschaft weiter schrumpfen, aber womöglich nicht ganz so heftig wie ursprünglich befürchtet. Der IWF prognostizierte kürzlich 3,3 % Rezession, nach dem ersten Quartal war man in Washington von einem Jahreswert von 3,6 % ausgegangen. Das alles liegt aber durchaus noch auf Linie etwa mit dem deutschen Kreditversicherer Euler Hermes, der einen Einbruch um 3,5 %, nach minus 3,8 % im Vorjahr, befürchtet.Grund für die leichte Prognoseaufhellung aus IWF-Sicht waren externe Faktoren, wie der Anstieg der Weltmarktpreise für diverse Rohstoffe. Aber auch die Aussicht auf ein definitives Ende der Ära PT, deren Gründer und Lichtgestalt Lula vorige Woche erstmals formell angeklagt wurde – wegen Verschleppung der Justizermittlungen im Korruptionsfall Petrobras.”Ein endgültiges Ausscheiden Rousseffs wird den Weg freimachen für wichtige ökonomische Weichenstellungen”, versichert Flavio Amaury, Präsident des Wohnbauverbandes Secovi-SP von Sao Paulo. “Der Wendepunkt ist nah.” Aber erst einmal kommt Olympia.