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Nach Rückzug Mitterlehners blickt Österreich auf Kurz

fed - Richtig überrascht hat es eigentlich niemanden. Und doch hat der gestrige Rückzug von Reinhold Mitterlehner sowohl als Vizekanzler als auch als Wirtschaftsminister und als Vorsitzender der christdemokratischen ÖVP das Zeug, in Österreichs...

Nach Rückzug Mitterlehners blickt Österreich auf Kurz

fed – Richtig überrascht hat es eigentlich niemanden. Und doch hat der gestrige Rückzug von Reinhold Mitterlehner sowohl als Vizekanzler als auch als Wirtschaftsminister und als Vorsitzender der christdemokratischen ÖVP das Zeug, in Österreichs Regierung und Österreichs Parteienlandschaft einiges kräftig durcheinanderzuwirbeln. Denn nun stehen beide Partner der regierenden Koalition – sowohl die Sozialdemokratische Partei als auch die Volkspartei – unter öffentlichem Druck, Fragen zu beantworten, die einige von ihnen lieber noch einige Zeit hinausgeschoben hätten.Die SPÖ muss sich festlegen, ob sie weiterhin mit der ÖVP regieren oder Neuwahlen ausrufen will. Bundeskanzler Christian Kern erklärte zwar schon wenige Stunden nach Mitterlehners Rücktritt, er wolle am regulären Wahltermin im Herbst 2018 festhalten und die Wähler nicht schon in diesem Spätsommer an die Urnen bitten. Allerdings ist mit dem Abschied des bisherigen Vizekanzlers das Thema Neuwahlen auf der politischen Agenda wieder nach oben gerückt. Und da in Österreich vorgezogene Wahlen fast schon Tradition sind, ist diese Option nicht auszuschließen – wenngleich sie, wie auch die Ökonomen von Unicredit einschätzen, angesichts der gegenwärtig guten Umfrageergebnisse der rechtskonservativen FPÖ eher unwahrscheinlich ist. ÖVP unter ZugzwangUnter Zugzwang geraten ist zudem natürlich die ÖVP – und vor allem Außenminister Sebastian Kurz. Der 61 Jahre alte Mitterlehner hat in seiner Abschiedsrede keine Zweifel gelassen, dass er sich von seinen eigenen Parteikollegen im Stich gelassen gefühlt hat. Das gilt etwa für Innenminister Wolfgang Sobotka, der zuletzt so aggressiv gegen den Koalitionspartner polterte, dass Mitterlehner die Lust vergangen ist, “in der Mitte der Provokationen” zu stehen. Eine andere Bemerkung wiederum scheint direkt auf Kurz zu zielen – Mitterlehner erklärte, er stehe nicht als “Platzhalter” zur Verfügung.Kurz, der 30-jährige Politikstar der Konservativen in Österreich, gilt schon seit geraumer Zeit als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des nächsten ÖVP-Bundesobmanns. Allerdings wird vermutet, dass er diese Rolle nur dann übernehmen will, wenn er zugleich recht freie Hand bei der personellen und strategischen Steuerung der Partei bekäme. Ob die ÖVP gegenwärtig schon bereit wäre, Kurz mehr Handlungsfreiraum zu gewähren als seinen Vorgängern, ist unklar. Entsprechend vorsichtig gab der Jungpolitiker gestern erst einmal nur zu Protokoll, dass Mitterlehner Recht habe, wenn er sage, dass es so nicht weitergehen könne – weder in der Partei noch in der Regierung.Die ÖVP scheint in der Tat dazu zu neigen, ihre jeweiligen Vorsitzenden zu vergraulen. Mitterlehner ist nach Michael Spindelegger, Josef Pröll und Wilhelm Molterer schon der vierte ÖVP-Obmann, der in weniger als zehn Jahren an seiner Partei verzweifelt. Nicht zuletzt wegen dieser internen Querelen ist die Partei von einst mehr als 40 % in den vergangenen 15 Jahren auf zuletzt nur noch gut 20 % abgefallen. Allerdings prognostizieren Politikwissenschaftler wie der Wiener Meinungsforscher Peter Hajek, dass die ÖVP zusätzlich 7 bis sogar 10 Prozentpunkte zulegen könnte, falls Kurz die Parteiführung übernehmen würde.