Nahles setzt in der Wirtschaftspolitik auf Europa

Ökonomen werfen Politik auf Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung vor, "kleinkariert" zu denken

Nahles setzt in der Wirtschaftspolitik auf Europa

Von Archibald Preuschat, Berlin”Die Zeit der Alternativlosigkeit ist vorbei”, ruft SPD-Vorsitzende Andrea Nahles beim “Tag der progressiven Wirtschaftspolitik” den rund 500 Teilnehmern zu. Dass die Politik Alternativen finden muss, dürfte unstrittig sein. Die Konjunktur hierzulande schwächelt, auch wenn die jüngsten Daten zum Bruttoinlandsprodukt ein wenig Hoffnung aufkeimen ließen. Das verarbeitende Gewerbe, bislang Stütze Deutschlands, steht vor radikalen Umwälzungen durch die Digitalisierung, künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt rapide verändern.Nahles konzentriert sich in ihrer Keynote erst einmal auf das womöglich Machbare. Die Mindestbesteuerung werde kommen, versichert sie: “Wer in Europa Gewinne macht, muss hier auch Steuern zahlen.” Wenn sich die Länder in der Indus-trieorganisation OECD nicht einigen können, “dann werden wir in Europa handeln – hoffentlich mit allen”.Die Europäische Union ist für Nahles, wohl auch in Zeiten einer nicht gerade reibungsfreien Koalition mit der CDU/CSU, eine wichtige Institution. “Europa ist die richtige Ebene, um bei vielen entscheidenden Fragen nicht zu kurz zu springen.” Und Europa will sie gestärkt wissen. “Wir müssen uns vornehmen, die Europäische Union weiterzuentwickeln – zum Beispiel durch ein Eurozonen-Budget. Wir müssen uns vornehmen, neue institutionelle Mechanismen aufzusetzen”, sagt die Sozialdemokratin. Nur einen Nebensatz hat sie auf der Veranstaltung in der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung zum Enteignungsvorstoß des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert. Sie habe eine “ablehnende Position” zur Enteignung. Klarer wird sie bei der CO2-Steuer: Sie solle keine Verbesserung der Steuereinnahmen bringen, sondern eine Lenkungsfunktion haben, dürfe Pendler und Mieter nicht belasten.Reicht das alles für eine “Progressive Wirtschaftspolitik”? Ashoka Mody, Professor für internationale Wirtschaftspolitik an der Princeton- Universität und Deutschland-Kenner, hat da eine klare Meinung; schon länger warnt er vor der Abhängigkeit der hiesigen, exportorientierten Wirtschaft von China, das nicht ewig in diesem Tempo wachsen werde: “Ich denke, dass ganz bald chinesische Autos auf deutschen Straßen fahren. Das ist die Revolution, die Sorgen machen sollte. Diesem Problem müssen Sie sich stellen!”Anke Hassel, Professorin an der Berliner Hertie School of Governance, setzt auf die Qualifizierung von Menschen im mittleren Bildungsbereich. Derweil fordert der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze von der New Yorker Columbia-Universität die Politik und somit auch den SPD-Finanzminister Olaf Scholz auf, den Fuß von der Investitionsbremse zu nehmen. Politiker sollten das Wort “Billionen” in den Mund nehmen – und nicht nur mittlere Milliardenbeträge investieren. “Es fehlt uns die Zeit, kleinkariert hier anzusetzen.”