Negatives Signal
Mitunter reibt man sich verwundert die Augen: Die Euro-Krise hat an Dramatik verloren, auch wenn es zu früh für eine Entwarnung ist, die Euro-Wirtschaft hat die Rezession überwunden und wächst wieder, wenn auch im Schneckentempo – und dennoch sinnieren Notenbanker der Europäischen Zentralbank (EZB) offen über negative Einlagezinsen und Staatsanleihekäufe, nachdem sie gerade erst den Leitzins auf das Rekordtief von 0,25 % gedrückt haben.Die Währungshüter führen ins Feld, dass die Inflation überraschend stark auf zwischenzeitlich 0,7 % zurückgegangen ist und noch für einige Zeit klar unterhalb des Zielwerts von knapp unter 2 % verharren dürfte. Bei aller berechtigten Sorge über diesen Trend gilt es aber, einiges zurechtzurücken – ohne Risiken zu ignorieren. Die EZB muss sich zudem hüten: Manche Instrumente dürfen allenfalls “Ultima Ratio” sein. Und sie läuft zunehmend Gefahr, falsche Signale zu senden.Einer Zentralbank, die ihr Mandat und Preisziel ernst nimmt, kann es nicht schmecken, wenn die Inflation “unterschießt”. Eine zu geringe Inflation ist so problematisch wie eine zu hohe, vor allem wegen der Gefahr eines Abrutschens in die Deflation, also eines sich selbst verstärkenden, breiten Preisrückgangs, der eine Wirtschaft lähmt. Die EZB mag sich bemüßigt gefühlt haben, ein Signal zu senden – zumal sie einigen Beobachtern als auf dem Deflationsauge blind gilt. Dass die Inflation niedrig ist und vorerst bleibt, ist indes seit längerem klar. So verstärkt der jüngste Schritt auch den Eindruck einer zuletzt erratischen EZB. Das schafft kaum Vertrauen.Zum ganzen Bild gehört zudem, dass die niedrige Inflation teils auf temporäre Effekte wie gesunkene Energiepreise zurückgeht und teils auf sinkende Preise und Löhne in den Krisenstaaten, mit denen diese Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Letzteres ist – auch von der EZB – gewollt. Vor allem aber ist für die Geldpolitik nicht die aktuelle Inflation, sondern der Ausblick entscheidend: Da jedoch ist die Hoffnung, dass sie ihr Tief erreicht hat und auf Sicht des geldpolitischen Horizonts zumindest in Richtung der knapp 2 % klettert. Die aktuelle Rate scheint nicht wie ein Vorbote einer Deflation.Das alles heißt nicht, dass man die niedrige Inflation nicht ernst nehmen soll. Denn es ist eine Gratwanderung: Die EZB muss aufpassen, dass disinflationäre Trends in der Peripherie nicht in eine schwere Deflation münden und auf den Kern überschwappen. Entscheidend ist, dass die Inflationserwartungen stabil bleiben. Es ist aber eine Warnung, allzu leichtfertig drastischere Schritte zu erwägen, die selbst wieder neue Risiken in sich bergen.Hinter der Debatte um den negativen Einlagezins steckt die Hoffnung, dass Banken dann Kredite vergeben, statt Geld bei der EZB zu halten. Die Wirkung aber kann gar negativ sein, wie Dänemark zeigt: Da haben die Institute ihre Kosten in höhere Kreditzinsen umgeschlagen. Zudem bedeutet es für Banken geringere Zinsmargen und das kann zum Risiko für die Finanzstabilität werden. Am Ende droht ein solcher Schritt viel mehr Schaden als Nutzen zu stiften.Was massive Staatsanleihekäufe betrifft, sind sie in den USA oder Japan gang und gäbe. In der Eurozone aber gibt es keine gemeinsame Fiskalpolitik und keine Euro-Bonds analog zu den US-Treasuries, die die EZB kaufen könnte. Zudem steht das langfristige Urteil über den Erfolg dieses “Quantitative Easing” noch aus. Ein solcher Schritt sollte für die EZB nur dann infrage kommen, wenn es für die gesamte Eurozone ein erhebliches Deflationsrisiko gibt oder ein wirtschaftlicher Kollaps droht.Es ist verständlich, dass die EZB dem Eindruck entgegentreten möchte, dass ihr die Mittel ausgehen. Fakt aber ist, dass ihr Grenzen gesetzt sind. Das gilt generell für die Geldpolitik, aber nach dem Platzen einer über Jahre aufgebauten Finanzblase umso mehr. Die EZB hat viel bewirkt, aber jetzt sind andere Akteure gefragt, allen voran die Politik, ein Umfeld für nachhaltiges Wachstum zu schaffen: Es gilt vor allem, die hohe Verschuldung abzubauen und den Finanzsektor auf Vordermann zu bringen. Deswegen ist der Bilanz-TÜV der EZB so wichtig. Leider schwindet der Reformeifer der Politik immer just dann, wenn die EZB einspringt.Die EZB läuft schließlich Gefahr, Erwartungen an den Märkten zu schüren, die sie anschließend zur Getriebenen machen. Und es besteht das Risiko, dass Investoren den Eindruck gewinnen, die EZB verfüge über besorgniserregende Informationen, die sie nicht haben. Das könnte das Vertrauen in die Erholung erst recht untergraben.——–Von Mark SchrörsDie EZB spricht über Minuszinsen und Staatsanleihekäufe. Sie muss aber aufpassen, dass sie sich nicht übernimmt – und selbst zum Risiko wird.——-