SCHICKSALSWAHL IN ITALIEN

Neue Regierung in Rom steht vor riesigen Problemen

Unsicherheit über Ausgang der Parlamentswahl - Regierungschef Gentiloni könnte im Amt bleiben - Italien wird langfristig das Sorgenkind in der EU bleiben

Neue Regierung in Rom steht vor riesigen Problemen

Am 4. März sind die Italiener zur Wahl aufgerufen. In ganz Europa schauen Politiker und auch Notenbanker gebannt gen Süden. Aber egal, wer an die Macht kommt – er oder sie steht vor enormen Herausforderungen. Die Börsen-Zeitung analysiert die Lage und unterzieht die Wahlprogramme einem Check.Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandMatteo Renzi, einstiger Regierungschef Italiens und Ex-Shootingstar der Sozialdemokraten, glaubt selbst nicht mehr an sein Comeback als Regierungschef. Paolo Gentiloni, der nach Renzis Rücktritt im Dezember 2016 interimistisch den Posten übernommen hatte, könnte mit der Regierungsbildung beauftragt werden, sagte Renzi unlängst in einem Interview mit dem Staatsfernsehen. Aber nicht nur Renzi, auch Silvio Berlusconi von Forza Italia, Emma Bonino von “Mehr Europa” und die liberale Kleinpartei von Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin, Civico Popolare stärken Gentiloni den Rücken. Und nachdem ihn am Wochenende auch noch der zweimalige Regierungschef und einstige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi gelobt hat, scheint klar: “Ersatzmann” Gentiloni soll für Italiens Linke die Wahl retten. Tatsächlich kommt Gentilonis sachliche Art bei den Wählern gut an. Laut “Corriere della Sera” genießt er bei der Bevölkerung 47 % Zustimmung – gefolgt vom Kandidaten der Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S), Luigi di Maio (35 %), Lega-Chef Matteo Salvini (29 %), Silvio Berlusconi (28 %) und Matteo Renzi mit nur 26 %.Wie die Wahl am 4. März auch ausgehen mag: Italien steht eine schwierige Regierungsbildung bevor. Der Ausgang sei höchst ungewiss, heißt es auch bei Goldman Sachs. Nach den am 16. Februar zuletzt publizierten Meinungsumfragen zeichnet sich keine klare Mehrheit ab. Die Protestbewegung M5S rückte darin mit 27,5 % Zustimmung zur stärksten Partei und die Mitte-rechts-Koalition aus Forza Italia (FI), Lega Nord und Fratelli d’Italia (Rechtsextremisten) zum stärksten Bündnis auf – mit immerhin 38 % Zustimmung. Fraglich ist aber, ob die Mitte-rechts-Koalition auch nach den Wahlen fortbesteht. Die Diskrepanzen zwischen FI-Führer Berlusconi und Lega-Boss Salvini werden nicht nur bei deren Wirtschaftsprogrammen, sondern auch in der Europa-, der Immigrations- und der Personalpolitik deutlich. Berlusconis Favorit als Regierungschef, EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, hat bislang nicht die Zustimmung der Verbündeten Salvini und Meloni gefunden, die beide selbst das Amt des Regierungschefs anpeilen. Viele NichtwählerZum klaren Sieger der Wahlen dürften diesmal die Nichtwähler avancieren. Die Absenzquote erreichte bei den jüngsten Umfragen die 40-Prozent-Marke.Das Schreckensszenario für Europa wäre ein Bündnis aus Lega und den sogenannten “Grillini” der M5S. Die europafeindlichen Protestbewegungen kommen nach den jüngsten Meinungsumfragen auf bis zu 41 %. Das ist aber zu wenig, um nach dem neuen Wahlrecht zu regieren. Ein Wahlsieg der Fünf-Sterne-Bewegung könnte indes die jüngsten Reformen bei der Arbeitsmarktpolitik und bei der Rentenpolitik gefährden, warnt die Ratingagentur Moody’s.Mehr Chancen geben politische Beobachter einer “großen Koalition” zwischen der Forza Italia von Berlusconi und der PD von Renzi, mit Hilfe von einigen kleineren Parteien. Die Linksdemokraten (PD) haben mit 23 % gegenüber den Sommermonaten stark verloren. Gemeinsam mit neun kleinen Parteien kommen sie derzeit auf 28 % und mit Berlusconis Forza Italia auf knapp mehr als 44 %. Die fehlenden Mandate könnten von der jüngst abgespaltenen Linkspartei der Freien und Gleichen (LeU) kommen. Diese neue Koalition könnte vom gegenwärtigen Regierungschef Gentiloni geleitet werden. Zwar sehen die Anleger die Italien-Wahl bislang recht gelassen. Die Ausgabenfantasien einiger italienischer Politiker erschüttern keineswegs die Finanzmärkte. Der FTSE MIB Index legte an der Mailänder Börse sogar seit Jahresbeginn um 20 % zu und schnitt damit besser ab als der Dax. Auch der Risikospread hat sich bei unter 150 Punkten beruhigt. Dies darf aber nicht über die großen Probleme und Herausforderungen hinwegtäuschen, vor denen Italien steht: Die Gesamtverschuldung des Staats liegt bei 133 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die erwartete Neuverschuldung bei 1,8 % des BIP im laufenden und 2,4 % im kommenden Jahr. Zudem bleibt das erwartete Wachstum mit 1,5 % in diesem Jahr und 1,2 % im Jahr 2019 unter dem EU-Schnitt. Die Arbeitslosenquote liegt bei mehr als 10 %, und die Infrastruktur gilt als schwach. Dazu kommt der große, wenn auch zuletzt etwas abgebaute Berg an faulen Krediten bei den Banken. So bleibt Italien das Sorgenkind in Europa. Zudem haben die Banken insgesamt mehr als 300 Mrd. Euro an Staatspapieren in ihren Portfolios. Dies könnte sich bei früher oder später zu erwartenden Zinserhöhungen als Risiko erweisen.Der Chef des Unternehmerverbandes Confindustria, Vincenzo Boccia, hat es jüngst klipp und klar gesagt: Nur weitere Strukturreformen, Investitionen von 250 Mrd. Euro in den kommenden fünf Jahren und der Abbau des leistungsschwachen bürokratischen Apparats könnten Italien wieder auf die Beine helfen. Auch Boccia befürchtet, dass bei einer “populistischen” Regierung die Reformen der letzten Regierung (Jobs Act, Rentenreform, Unterstützung für die Industrie 4.0) demontiert werden und sich Italien damit von Europa distanzieren könnte. Die große Frage ist, ob eine neue Regierung – welcher Art sie auch immer ist – tatsächlich Italiens Probleme lösen kann.