IM BLICKFELD

Neue Steinchen im chinesischen Kommunalkreditpuzzle

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 20.6.2013 Die Kommunalfinanzierung ist das wichtigste Scharnier für Chinas investiv geleitetes Wirtschaftswachstum und gleichzeitig eine Schwachstelle in Sachen Finanzstabilität. Man weiß, dass sich...

Neue Steinchen im chinesischen Kommunalkreditpuzzle

Von Norbert Hellmann, SchanghaiDie Kommunalfinanzierung ist das wichtigste Scharnier für Chinas investiv geleitetes Wirtschaftswachstum und gleichzeitig eine Schwachstelle in Sachen Finanzstabilität. Man weiß, dass sich die chinesischen Lokalregierungen Billionen von Yuan von Staatsbanken, an den Bondmärkten und nicht zuletzt auch von Schattenbanken geliehen haben, um sie in Infrastrukturprojekte und öffentliche Dienste zu stecken.Was man aber nicht genau weiß, ist, wie es um ihre Rückzahlungsfähigkeit und Bonität beziehungsweise die tatsächliche Höhe der Ausstände bestellt ist. Zwischengeschaltete Zweckgesellschaften und Projektfinanzierungsvehikel führen zu einem einzigen Verwirrspiel. Peking will aufräumenWiederum auf einem anderen Blatt steht, ob die Zentralregierung, die letztlich für kommunale Haushaltslöcher aufzukommen hätte oder die von Kreditausfällen angegriffenen Banken auffangen müsste, wirklich Bescheid weiß, wie es in den Niederungen des Kommunaldschungels aussieht. Immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass man in Peking bereit ist, das lange totgeschwiegene Problem offensiver anzupacken, und Ordnung in den Wildwuchs der kommunalen Finanzierungsvehikel zu bringen versucht. Ein neuer Bericht des chinesischen Rechnungshofs National Audit Office fügt dem Puzzle nun neue Steinchen hinzu. Dahinter steht ein Mammutunterfangen, bei dem 223 der berüchtigten Local Government Financing Vehicles (LGVF), 1 249 von öffentlichen Mitteln gespeiste Institutionen, 903 Regierungsabteilungen und mehr als 22 000 kommunale Einzelprojekte durchleuchtet wurden. Bericht gibt AufschlussDamit hat man allerdings nur die Oberfläche angekratzt. Die 36 durchkämmten Regionen und ihre Verwaltungsinstanzen stehen nämlich nur für etwa ein Drittel des vermuteten Schuldenbergs. Immerhin aber erlaubt der Bericht eine neue Extrapolation dessen, was sich landesweit angehäuft haben könnte.Im Juli 2011 hatte das National Audit Office die Verbindlichkeiten auf Lokalregierungsebene zum Jahresende 2010 auf 10,7 Bill. Yuan (1,34 Bill. Euro) beziffert. Das ist noch immer die einzig offizielle Hausmarke jener Schulden.Wie aber hat sich die Verschuldungsdynamik hernach entwickelt? Der neue Bericht gibt darüber partiellen Aufschluss. In den zwei Jahren bis zum Jahresende 2012 haben die nun exakter geprüften 36 Regionen ihre Verschuldung um knapp 13 % auf zuletzt 3,85 Bill. Yuan erhöht. Gleichzeitig sollen die zugehörigen Gebietskörperschaften damals auf einen Anteil an den besagten 10,7 Bill. Yuan von 32 % gekommen sein. Nach Kalkulationen der Ratingagentur Moody’s kann man auf dieser Basis nun von einer direkten und indirekten Gesamtverschuldung des chinesischen Kommunalsektors von mindestens 12,1 Bill. Yuan zu Ende 2012 ausgehen. Das deckt sich auch ungefähr mit bisherigen Schätzungen von Analysten und Bonitätswächtern, die das Ausmaß auf 12 bis 13 Bill. Yuan taxierten. Schattenbanken springen einIn der Frage, ob die chinesischen Lokalregierungen mit einer immer wieder thematisierten Welle von Kreditausfällen das Bankensystem überfordern könnten, ist man nicht viel weiter. Man kann aber immerhin davon ausgehen, dass die Kommunalverschuldung nach sprunghaften Zuwächsen zu Ende der letzten Dekade ein gezügeltes Wachstum aufweist.Bei 24 der 36 Regionen geprüften Regionen solle es zu einer strukturellen Verbesserung gekommen sein, nämlich einem Rückgang der Verschuldung in Relation zu fiskalischen Einnahmen. Dabei scheint das National Audit Office nicht bestrebt, die Probleme zu verniedlichen, und verweist auf gravierende Missstände. In neun Provinzkapitalen war die Verschuldung größer als ihre fiskalischen Ressourcen, in einem Fall soll die Quote mehr als 200 % betragen.Auch äußert die Behörde Sorge darüber, dass zahlreiche der Zweckgesellschaften – auf die insgesamt 46 % der Verschuldung im Lokalregierungsbereich entfallen – nicht genügend Einnahmen aufweisen, um den Zinsdienst und die Tilgung voll abzudecken. Zudem weisen die Kommunen sinkende Einnahmen aus ihrer wichtigsten Finanzierungsquelle auf, nämlich dem Verkauf von Bauland an Immobilienentwickler.Dass die von den Großbanken ausgewiesenen Kreditausfallraten auf Kommunaldarlehen noch immer winzig sind – sie werden auf weniger als 0,5 % der Ausreichungen beziffert -, liegt freilich daran, dass es zu massiven Tilgungsstreckungen gekommen sein soll. Auch nutzen die Kommunen neue Kredite, um alte abzulösen. Da die Banken hier wesentlich restriktiver geworden sind, weichen klamme Kommunen verstärkt auf Schattenbanken, nämlich Chinas Hedgefonds-ähnliche Trust-Gesellschaften aus. Dort aber liegt das Zinsniveau bei 8 bis 9 %, während Bankkredite eng an die Leitzinsmarke bei 6 % gebunden sind.Eine Verlagerung hin zu Schattenbanken, denen nicht brave Kleinsparer, sondern nur vermögende Anleger ihr Geld anvertrauen dürfen, spricht eigentlich für eine sinnvolle Risikoumverteilung und Entlastung des Bankensektors. Die Krux ist allerdings, dass sich zahlreiche Schattenbanken ihrerseits über herkömmliche Banken refinanzieren. Staatliche PolsterDie Sorgen um die Tragfähigkeit des chinesischen Finanzsystems sollten dennoch nicht überhand nehmen, denn im Ernstfall würde die Regierung mehr oder weniger geräuschlos einspringen. Dieser Umstand wird freilich in der zuletzt sinkenden Bonitätseinschätzung für China reflektiert. Bei Einbezug der Verbindlichkeiten im Kommunalsektor, die auf den Staat zurückfallen könnten, würde Chinas Verschuldungsstand von derzeit 29,4 % des Bruttoinlandsprodukts auf etwa 40 % ansteigen, rechnet Moody’s vor. Das ist ein ordentlicher Sprung, doch würde sich das Gros der westlichen Industrieländer glücklich schätzen, mit solchen Schuldenrelationen aufwarten zu können.