ANSICHTSSACHE

Neuer Euro-Stabilitätsanker erfordert komplexen Bauplan

Börsen-Zeitung, 8.9.2017 "Wir sind bereit, mit der neuen französischen Regierung die Eurozone schrittweise weiterzuentwickeln, zum Beispiel mit der Schaffung eines eigenen Währungsfonds", heißt es im Wahlprogramm der Union. In diesem unscheinbaren...

Neuer Euro-Stabilitätsanker erfordert komplexen Bauplan

“Wir sind bereit, mit der neuen französischen Regierung die Eurozone schrittweise weiterzuentwickeln, zum Beispiel mit der Schaffung eines eigenen Währungsfonds”, heißt es im Wahlprogramm der Union. In diesem unscheinbaren Satz stecken die zentralen Herausforderungen, das europäische Projekt wieder in Fahrt zu bringen. Gelingt es Deutschland und Frankreich, in gemeinsamer Verantwortung und mit gemeinsamem Verständnis, die Vision eines künftigen Europas zu entwickeln? Muss eine starke Eurozone nicht auch durch eine massive Weiterentwicklung der europäischen Institutionen organisiert werden? Paris contra BerlinDer französische Staatschef Emmanuel Macron hat seine Vorstellungen bereits kundgetan: Ein eigener Haushalt für die Eurozone mit Hunderten Milliarden Euro Umfang dürfe es schon sein. Das neue Superbudget soll eine Art Mehrzweckwaffe sein und sogar zur Refinanzierung dienen. Macron fordert nicht weniger, als dass die Eurozone – und der ebenfalls geplante Euro-Finanzminister – ein größeres Budget erhält als die Europäische Union (EU), die noch den Brexit verkraften muss.Das zeigt, in Berlin und Paris wird zwar gleichermaßen viel von “Wirtschaftsregierung”, “Euro-Finanzminister” oder “Fiskalunion” gesprochen, doch obwohl dieselben Begriffe verwendet werden, stecken vollkommen unterschiedliche Denkrichtungen und Vorstellungen dahinter. Die französische Interpretation beinhaltet noch mehr fiskalpolitisches Engagement der Europäischen Zentralbank (EZB), ein gemeinsames Eurozonen-Budget, eine EU-Arbeitslosenversicherung oder eine EU-weit zentralisierte Einlagensicherung. Unterm Strich: noch mehr Vergemeinschaftung jetzt, gegen vermeintlich mehr Kontrolle und Reformen in der Zukunft.Das deutsche Modell beruht dagegen auf der Entpolitisierung von Entscheidungen, verbindlichen Regeln und automatischen Sanktionen. Eine regelbasierte Ordnungspolitik steht also interventionistischer “Planification” gegenüber. Klar ist: Eine Vertiefung kann die Währungsunion nur dann stabiler machen, wenn jede Ebene selbst für die Verpflichtungen einsteht, die sie eingeht. Ein wirkungsvoller Baustein für das Konzept der gestärkten Eigenverantwortung und mehr Regeltreue kann die Idee von Bundesfinanzminister Schäuble sein, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen. Entpolitisierte KontrolleDoch welche Kompetenzen müssten dem ESM übertragen werden? Analog zum Internationalen Währungsfonds wäre eine Kernaufgabe die Überwachung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer und damit eine Frühwarnfunktion. Anders als die Europäische Kommission ist der ESM nicht dem Interessenkonflikt unterworfen, zugleich politischer Akteur und Hüter der Verträge zu sein. Damit ließe sich die Entscheidung über Sanktionen entpolitisieren und anhand eindeutiger Kriterien automatisieren. Endlich könnten die EU-Fiskalregeln mit der nötigen Strenge durchgesetzt werden.Ein weiterer sehr interessanter Vorschlag kommt von der Bundesbank. Er sieht vor, den Fonds als eigenständiges Instrument der Krisenbewältigung zu ertüchtigen. Dafür müssten die Anleihebedingungen für Staatsanleihen im Euroraum dahingehend geändert werden, dass automatisch eine dreijährige Laufzeitenverlängerung für alle Anleihen in Kraft tritt, sobald ein Staat ein ESM-Programm beantragt. Es werden also laufende Defizite finanziert, aber Altgläubiger fällig werdender Bonds nicht ausbezahlt. So sind nicht nur die Anreize für private Gläubiger gewahrt, Kredite sorgsam zu vergeben, sondern der Finanzierungsbedarf eines ESM-Programms ließe sich deutlich verringern.Die automatische Laufzeitverlängerung verschafft zudem einen Zeitgewinn, um festzustellen, ob ein Schuldner vorübergehend illiquide oder tatsächlich zahlungsunfähig ist. Diese zentrale Frage wird in der bisherigen europäischen Rettungspolitik zwanghaft vermieden – siehe Griechenland. Bei zeitlich begrenzten Liquiditätsproblemen sind Hilfskredite gegen Reformauflagen das richtige Rezept. Bei Insolvenzkrisen braucht es dagegen einen anderen Instrumentenkasten. Vorsorge für StaatskrisenHandlung und Haftung lassen sich in Europa nur dann wieder zusammenführen, wenn in solchen Fällen auch endlich Mechanismen für Insolvenzverfahren für Staaten sowie die Möglichkeit des Austritts aus dem Euro zur Verfügung stehen. Natürlich muss das Finanzsystem einen Schuldenschnitt verkraften können. Entsprechend dringen wir seit langem auf die Einführung von Großkreditgrenzen und eine risikogewichtete Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen. Solche Veränderungen würden die Marktdisziplin stärken und das Risiko künftiger Staatsschuldenkrisen reduzieren.Ein Mehr an ESM mit einer starken Governance ist auch eine Chance, endlich die Feuerwehreinsätze der EZB zu beenden. Anders als bei Liquiditätsengpässen, darf die EZB bei dauerhaften Solvenzkrisen gar nicht eingreifen. Das ist schlicht verbotene Staatsfinanzierung. Alle historische Erfahrung zeigt, dass das Mandat der Preisstabilität unter die Räder kommt, wenn das Finanzierungsverbot dauerhaft missachtet wird. Die Überführung der Anleihekaufprogramme in den ESM hätte den Vorteil, dass diese Form intergouvernementaler Kreditgewährung einer parlamentarischen Kontrolle zugänglich wird, die es für die EZB-Programme nicht gibt.Die Transformation des ESM in einen Europäischen Währungsfonds kann ein wichtiger und richtiger Baustein sein. Allerdings darf dies keine alleinstehende Initiative sein. Vielmehr geht es darum, einen grundlegenden Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Stabilitätskultur einzuläuten.—-Wolfgang Steiger ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Wolfgang SteigerDie Eurozone braucht einen grundlegenden Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Stabilitätskultur.——-