LEITARTIKEL

Noch lange nicht genug

Fünf Jahre ist es nun her, dass sich die Welt öffentlichkeitswirksam in den Armen lag. Den Vereinten Nationen gelang bei der Klimakonferenz in Paris Unwahrscheinliches: 197 Staaten einigten sich darauf, die Erderwärmung auf 2 Grad im Vergleich zum...

Noch lange nicht genug

Fünf Jahre ist es nun her, dass sich die Welt öffentlichkeitswirksam in den Armen lag. Den Vereinten Nationen gelang bei der Klimakonferenz in Paris Unwahrscheinliches: 197 Staaten einigten sich darauf, die Erderwärmung auf 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Das Pariser Klimaabkommen gilt als historischer Kompromiss. Seit der Unterzeichnung mag viel passiert sein, aber nicht genug. Im Gegenteil: Nachdem Historisches geschafft war, scheint aller Elan verflogen.Immerhin: Fast alle der Unterzeichner blieben an Bord – mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, die unter Präsident Donald Trump aus dem Abkommen ausstiegen. Sein frisch gewählter Nachfolger Joe Biden wird dem Abkommen aber wieder beitreten, der Schwund sollte nur von kurzer Dauer sein. Zudem blieben befürchtete Nachahmeffekte nach dem Austritt der USA aus.Problematisch gestaltet sich allerdings die konkrete Umsetzung der gesteckten Ziele. Bis heute ist das sogenannte Rulebook noch nicht fertiggestellt. Es legt fest, welche Schritte zu gehen sind, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Unter anderem ist dort enthalten, dass alle Unterzeichner verpflichtet sind, einen nationalen Klimaschutzplan zu entwickeln, dessen Fortschritte alle fünf Jahre überprüft werden sollen. Doch zum einen haben bislang noch nicht alle Staaten einen Plan entworfen. Zum anderen wird das Überprüfen der Fortschritte schwierig. Denn die Berechnungsgrundlage ist die Tonnenzahl an CO2-Äquivalenten, die ein Land in die Atmosphäre pustet. Doch nicht alle Länder erheben die gleichen Daten. Die Vergleichbarkeit lässt zu wünschen übrig. Ein gefundenes Fressen für alle, die sich aus den Verpflichtungen des Abkommens herausargumentieren wollen. Die Coronakrise tat ihr Übriges. Die Klimakonferenz COP25 fand wegen der Reisebeschränkungen nur digital statt. Viele Teilnehmer hatten wiederholt Verbindungsprobleme. Genug Zeit für die komplizierten, technischen Details blieb nicht. Ein Misserfolg. Und wie die Vereinten Nationen in einem aktuellen Bericht mahnen, hinkt die Welt den Klimazielen von Paris deutlich hinterher. So steuern wir derzeit auf einen Temperaturanstieg von 3 Grad zu. Die Kurve, die den weltweiten CO2-Ausstoß anzeigt, flachte zwischen 2010 und 2017 zwar ab, steigt jedoch seit 2018 wieder an. Tatsächlich sei aber noch Hoffnung, so die UN. Ausgerechnet die Coronakrise könnte zu einem Game-Changer werden.Während der weitreichenden Lockdowns in vielen großen Volkswirtschaften auf dem ganzen Globus und des damit verbundenen Stillstands der Industrieproduktion sowie eines erlahmten Reise- und Flugverkehrs sackten die klimaschädlichen Emissionen im Frühjahr spürbar ab. Zwar stiegen sie nach dem Ende der harten Lockdowns vielerorts wieder sprunghaft an. Doch im Gegensatz zur Finanzkrise, als ein ähnliches Phänomen beobachtet wurde, wissen die meisten Entscheider inzwischen um die Wichtigkeit des Klimaschutzes.So gründen viele Wiederaufbau-Programme nach Corona – etwa jenes der EU – auf grünen Prämissen, die nicht zuletzt auf Grundlage des Pariser Klimaabkommens definiert werden. Nie zuvor nahmen Staaten so viel Geld in die Hand, um Wirtschaft und Gesellschaft zu stützen. Nie zuvor war der Klimawandel so präsent. Doch die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen werden nicht ausreichen. Die Zeit drängt. Sowohl beim Wiederaufbau als auch beim Klimaschutz. Die vorhandenen Ressourcen und finanziellen Mittel möglichst gewinnbringend für alle – Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt – zu verteilen, dürfte die größte Aufgabe der Staaten in den kommenden Monaten sein.Klimaaktivisten und Klimaökonomen sehen hier die Entscheidungsträger in Bundesrepublik und EU versagen: Viel zu viel Geld werde nach wie vor an klimaschädliche Unternehmen ausgezahlt oder Maßnahmen finanziert, die den Zielen des Pariser Abkommens widersprechen. Die Aktivisten monieren, in der Coronakrise habe sich mehr denn je gezeigt, dass der Klimawandel noch nie als Krise wahrgenommen worden sei. Klimaforscher vermissen einen entsprechenden Ehrgeiz bei den politisch Verantwortlichen. Sie könnten Recht behalten. Das Ausklamüsern der Details zur Umsetzung des Klimaabkommens und der Auszahlung von Geldern aus dem Wiederaufbaufonds zieht sich – nicht zuletzt wegen einzelner Akteure, die nicht einmal einer gemeinsamen Zielmarke zustimmen wollen. Es mag daher Fortschritte gegeben haben, insbesondere in den Köpfen der Menschen. Doch das ist noch lange nicht genug.——Von Anna SteinerMit dem Pariser Klimaabkommen gelang Historisches. Doch seitdem ist zu wenig passiert. Dabei drängt die Zeit.——