LEITARTIKEL

Noch nicht einmal 100 Tage

Emmanuel Macron hat eine erste wichtige Hürde für die Umsetzung der von ihm im Wahlkampf versprochenen Arbeitsrechtsreform genommen. Denn diese Woche gab das französische Parlament grünes Licht für ein Ermächtigungsgesetz, das es der Regierung...

Noch nicht einmal 100 Tage

Emmanuel Macron hat eine erste wichtige Hürde für die Umsetzung der von ihm im Wahlkampf versprochenen Arbeitsrechtsreform genommen. Denn diese Woche gab das französische Parlament grünes Licht für ein Ermächtigungsgesetz, das es der Regierung Macrons erlaubt, die Reform per Dekret umzusetzen. Dies soll noch Ende September geschehen. Massenproteste, wie es sie vergangenes Jahr während der Amtszeit von Ex-Präsident François Hollande gegen eine erste, sehr viel weniger weitreichende Reform gegeben hatte, sind bisher ausgeblieben. Macron ist noch nicht einmal 100 Tage im Amt und doch schon sehr viel weiter gekommen als seine Vorgänger.Daraus jedoch zu folgern, dass die Franzosen doch nicht so reformunfähig sind, wie es in den zurückliegenden Jahrzehnten den Anschein hatte, wäre falsch. Denn derzeit hat sich ein Großteil der Bevölkerung in die traditionellen Sommerferien verabschiedet. Macron hat mit Bedacht diese Zeit gewählt, um sein wichtiges Vorhaben so weit wie möglich voranzubringen. Wie stark der Widerstand gegen die Reform des Arbeitsrechts tatsächlich ausfallen wird, wird sich jedoch erst während der Rentrée zeigen, wie die Rückkehr aus der Sommerpause in Frankreich heißt. Die kommunistische Gewerkschaft CGT und die linkspopulistische Partei La France Insoumise (Das unbeugsame Frankreich) zumindest werden nichts unversucht lassen, Macron und seiner Regierung das Leben mit Protesten gegen sein erstes wichtiges Reformprojekt möglichst schwerzumachen. Ob es ihnen gelingen wird, eine breite Masse zum Mitmachen zu bewegen, vermag niemand vorherzusagen.Fest steht derzeit lediglich, dass sich die Stimmung seit dem Amtsantritt Macrons deutlich eingetrübt hat. Von der anfänglichen Euphorie, von der er nach seiner Wahl zunächst profitierte, ist nicht mehr viel übrig geblieben. In Meinungsumfragen ist Macron nach seiner Wahl so stark und schnell abgestürzt wie kaum einer seiner Vorgänger. Die Franzosen strafen ihn damit auch für seine Sparversuche ab, obwohl diese aus deutscher Sicht geradezu zaghaft anmuten. Doch wenn es ihnen selber an den Kragen kennt, so wie jetzt bei der Kürzung des Wohnungszuschusses für Geringverdiener um gerade mal 5 Euro pro Monat, verstehen die meisten Franzosen keinen Spaß. Zudem ist die Opposition nach dem überwältigenden Wahlsieg von Macrons Partei La République en Marche aus der Schockstarre erwacht und lässt nun keine Gelegenheit aus, den ehemaligen Wirtschaftsminister als sozial ungerechten Sparer darzustellen. Selbst die konservativen Republikaner, deren Kandidat François Fillon mit einem viel drastischeren Sparprogramm bei den Präsidentschaftswahlen angetreten war, sind in ihr altes Rollenmuster zurückgefallen, aus Prinzip die Pläne der Regierung abzulehnen.Der andere Grund für Macrons Absturz in den Beliebtheitsumfragen ist sein autoritärer Stil. Der ist zur Durchsetzung von Reformvorhaben jedoch nicht unbedingt die schlechteste Voraussetzung. Denn mit einem Staatsoberhaupt, das es allen recht machen will, haben Reformen in Frankreich keine Chance. Die Amtszeit von Macrons Vorgänger François Hollande ist das beste Beispiel dafür. Die jetzt auf den Weg gebrachte Reform des Arbeitsrechts hätte schon im vergangenen Jahr verabschiedet werden können, wäre Hollandes Regierung nicht angesichts des Widerstands eingeknickt und hätte sie verwässert. Macron hat aus diesen Fehlern gelernt und lieber gleich beschlossen, das umstrittene Projekt zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts per Dekret durchzusetzen und nicht durch endlose Parlamentsdebatten aufweichen zu lassen.Sein Vorgehen ist mutig – und klug. Denn Macron hat gleichzeitig die Gewerkschaften von Anfang an in die Beratungen eingebunden, ohne allzu viel von seinen konkreten Plänen preiszugeben. Der genaue Inhalt der geplanten Dekrete ist noch immer nicht bekannt. Durch die Einbindung der Sozialpartner in wochenlange Verhandlungen gibt Macron den Gewerkschaften jedoch das Gefühl, sie ernst zu nehmen und an der Ausarbeitung der Reform zu beteiligen. Das ist einer der Gründe, warum die Gewerkschaften bisher nicht stärker gegen die Arbeitsrechtsreform protestiert haben. Dazu kommt die Tatsache, dass die extrem streik- und protestbereite kommunistische CGT inzwischen nicht mehr die wichtigste Gewerkschaft des Landes ist. Für Macron ist das nicht die schlechteste Voraussetzung, um seine Vorhaben durchsetzen zu können.——–Von Gesche WüpperFrankreichs neuer Präsident ist in seiner Agenda schon viel weiter, als sein Amtsvorgänger Hollande es war. In den Meinungsumfragen ist Macron aber abgestürzt.——-