Notenbanken unter Beschuss - Sorge um Unabhängigkeit
In den USA attackiert Präsident Donald Trump immer wieder die Notenbank Fed. Aber auch in anderen Ländern wie der Türkei oder Indien gibt es starken Druck auf ihre Zentralbanken. Das schürt Sorgen um die Unabhängigkeit der Währungshüter. Geht die kurze Ära unabhängiger Zentralbanken bereits zu Ende? Von Mark Schrörs, FrankfurtEZB-Präsident Mario Draghi ist alarmiert. “Ich bin sicherlich besorgt über die Unabhängigkeit von Zentralbanken in anderen Ländern, besonders im wichtigsten Land der Welt”, sagte Draghi jetzt, als er am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die Attacken von US-Präsident Donald Trump auf die US-Notenbank Fed angesprochen wurde. “Falls die Notenbank nicht unabhängig ist, könnten die Menschen denken, dass geldpolitische Entscheidungen auf Ratschläge der Politik hin erfolgen und nicht aufgrund einer objektiven Beurteilung der Konjunkturaussichten”, so Draghi. Zwischen Hoffen und Bangen Und Draghi steht mit seinen Sorgen keineswegs alleine. “Die Unabhängigkeit hat ihnen gute Dienste geleistet und wird es hoffentlich auch künftig tun”, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde bei der Tagung in Washington in Richtung der Zentralbanken. IWF-Kapitalmarktchef Tobias Adrian, Lagardes oberster Berater in geldpolitischen Fragen, wurde sogar noch deutlicher. “Die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist von sehr großer Bedeutung und zentral für das Vertrauen ins Geld und das Geldsystem. Es wäre gefährlich, die Unabhängigkeit der Zentralbanken zu untergraben”, sagte Adrian nach der Tagung im Gespräch mit der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 16. April).Die Wortmeldungen – vor allem Draghis für einen Zentralbanker ungewöhnlich offene Aussage über eine andere Zentralbank – belegen eindrucksvoll, wie groß die Befürchtungen sind, dass die Unabhängigkeit unter die Räder kommen könnte. Aber wie schlimm steht es wirklich? Geht die Ära der unabhängigen Zentralbanken zu Ende?Zunächst einmal: Die Unabhängigkeit der Zentralbanken gehört derzeit zwar zu den Grundfesten der internationalen Geldpolitik. Das war aber nicht immer so. Erst im Laufe der Zeit wurde die politische Einflussnahme auf die Währungspolitik immer stärker beschränkt. Die Bundesbank wurde zwar bereits 1957 als unabhängige Geldpolitik gegründet. Weltweit wurden aber vielfach erst in den 1980er und 1990er Jahren neue Gesetze erlassen, in denen der jeweiligen Zentralbank ein höherer Grad an Unabhängigkeit zugesprochen wurde. Die 1694 gegründete Bank of England beispielsweise wurde erst 1997 in die operationelle Unabhängigkeit entlassen.Hinter der Idee der Unabhängigkeit steht die Vorstellung, dass unabhängige Zentralbanker besser als beispielsweise Politiker in der Lage seien, auf Dauer den Geldwert zu sichern – also für Preisstabilität zu sorgen. Politiker würden oft nur in kurzen Zyklen denken, bis zur nächsten Wahl. Das hatte sich nicht zuletzt in den 1970er Jahren gezeigt, als es auch in den USA teils zweistellige Inflationsraten gab. Viele empirische Daten und theoretische Analysen sowie Erfahrungen bestätigen diese Sicht. Demnach weisen Staaten mit autonomen Zentralbanken empirisch eine geringere durchschnittliche Inflationsrate auf, ohne dafür mit einem schwächeren oder volatileren Wachstum zu bezahlen.Aber inzwischen ist die Unabhängigkeit der Zentralbanken längst nicht mehr unumstritten. Das prominenteste Beispiel sind sicher die USA. US-Präsident Trump hat die Fed und Notenbankchef Jerome Powell persönlich immer wieder scharf angegriffen. Er kritisiert vor allem, dass die Fed 2018 den Leitzins weiter erhöht hat, insgesamt viermal. Ende 2018 wurde zeitweise gar über eine Absetzung Powells spekuliert. Erst Mitte April wetterte Trump, die Fed habe ihren Job nicht ordentlich gemacht. Zudem wollte er jüngst mit dem Unternehmer Herman Cain und seinem Ex-Berater Stephen Moore zwei Freunde zur Fed entsenden, die über keine geldpolitische Erfahrung verfügen. Cain hat diese Woche aber gesagt, er stehe nicht zur Verfügung (siehe Personen Seite 16).Aber nicht nur in den USA, auch in der Türkei oder Indien stehen die Zentralbanken massiv unter Druck. Grund ist nicht zuletzt, dass die Notenbanken im Kampf gegen die Weltfinanzkrise zu beispiellosen Maßnahmen gegriffen und unter Beweis gestellt haben, über welche große Macht und weit reichende Mittel sie verfügen. Zudem sind sie immer stärker auch in die politische Sphäre vorgedrungen – etwa durch ihre Staatsanleihekäufe. Einigen tun die Zentralbanken längst zu viel – und anderen immer noch zu wenig. Zudem haben sie, wie etwa die EZB im Bereich der Bankenaufsicht, viel neue Macht erhalten. Die ursprünglich zugesicherte Unabhängigkeit bezog sich aber nur auf das eng begrenzte Mandat der Preisstabilität.Angeheizt wird die Debatte durch Vorwürfe, die Zentralbanken trügen mit ihrer Politik zur sozialen Ungleichheit bei. In Großbritannien hatte Regierungschefin Theresa May der Bank of England 2016 vorgehalten, die Niedrigzinsen hätten die Ungleichheit erhöht. Hinzu kommt ein allgemeiner Trend zu Populismus und Ablehnung von Eliten.Schließlich ist da auch die Tatsache, dass die Inflation seit Jahren unter den Notenbankzielen liegt – statt zu hoch zu sein. Einige Experten wie Pimco-Chefvolkswirt Joachim Fels argumentieren, dass die strikte Trennung von Fiskal- und Geldpolitik zwar in Zeiten zu hoher Inflation richtig gewesen sei, aber nicht in Zeiten zu niedriger Inflation oder gar deflationärer Tendenzen. Die zunehmend populäre Modern Monetary Theory (MMT) schließlich argumentiert gar, die Zentralbanken sollten die Notenbankpresse dafür nutzen, Staatsdefizite zu finanzieren.Aber es gibt auch Widerspruch: “Die Inflation ist aktuell weltweit sehr niedrig. Aber die Inflation kann jederzeit zurückkommen”, sagte Adrian im Interview: “Die Unabhängigkeit der Zentralbanken und der Geldpolitik ist entscheidend, um zu garantieren, dass die Inflation auch künftig niedrig sein wird.”Auch die Notenbanker selbst verteidigen ihre Unabhängigkeit vehement. “Was auch immer es an Kritik geben mag – jedes andere Regime, in dem die Zentralbank dem Finanzministerium näher steht, ist sehr viel schlechter als das aktuelle System”, sagte etwa EZB-Chefvolkswirt Peter Praet jüngst im Interview der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 19. Februar). Ohne die Trennung von Geld- und Fiskalpolitik könne es “schnell gefährlich werden”, so Praet – und zeigte sich damit ähnlich alarmiert wie jetzt auch EZB-Chef Draghi.—– Leitartikel Seite 8