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Notenbanker ohne Guidance

Börsen-Zeitung, 10.8.2013 Nun also auch die Bank of England: Offensichtlich glauben die Notenbanker dieser Welt, jeder von der amerikanischen Federal Reserve erfundenen Mode hinterherlaufen zu müssen, um den Märkten zu gefallen. Die Koppelung der...

Notenbanker ohne Guidance

Nun also auch die Bank of England: Offensichtlich glauben die Notenbanker dieser Welt, jeder von der amerikanischen Federal Reserve erfundenen Mode hinterherlaufen zu müssen, um den Märkten zu gefallen. Die Koppelung der ultralockeren Geldpolitik an eine bestimme Arbeitslosenquote – in den USA 6,5 %, in Großbritannien 7 % – ist ökonomisch Humbug und politisch gefährlich. Fakt ist, dass Arbeitslosigkeit durch geldpolitische Maßnahmen nur unter bestimmten Voraussetzungen und dann auch nur vorübergehend gesenkt werden kann. Unfug mit der Phillips-KurveDurch die Bindung der Geldpolitik an dieses Ziel wird der Öffentlichkeit aber eine viel wirksamere Maßnahmen-Ziel-Beziehung suggeriert, als sie tatsächlich gegeben ist. Diese Beziehung, als Phillips-Kurve in der Nationalökonomie seit 55 Jahren diskutiert und als ökonomisches Modell wiederholt modifiziert, lässt sich zwar phasenweise auch empirisch belegen. Aber ein gesicherter Trade-off von Inflation und Arbeitslosigkeit lässt sich damit nicht begründen, auch wenn “Weltökonomen” wie Helmut Schmidt in den siebziger Jahren dies glaubten und lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit ertragen wollten.Selbst wenn die Fokussierung der Fed auf die Arbeitslosenquote nicht auf dem Modell der Phillips-Kurve beruht, sondern auf dem Mandat zur Förderung der Beschäftigung, manövriert sich die Notenbank mit der Bindung ihrer Geldpolitik an eine bestimmte Arbeitslosenquote in ein Dilemma: Erstens muss sie ein als akzeptabel anzusehendes Niveau der Arbeitslosigkeit definieren warum ausgerechnet 6,5 %?, zweitens macht sie sich abhängig von einer volkswirtschaftlichen Größe, die sie kaum steuern kann, und drittens riskiert sie ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie aus Gründen der Geldwertstabilität die Zinsen erhöht, obwohl das gewünschte Niveau der Beschäftigung noch nicht erreicht wird.Nun kann man mit einer gewissen Berechtigung einwenden, dass es mit der Glaubwürdigkeit der Fed ohnehin nicht weit her ist, sonst hätte sie ja eine so ausgeprägte Form der Forward Guidance nicht nötig. Damit wird aber zugleich deutlich, dass die Fed mit dieser Art von Forward Guidance – und nichts anderes ist die Zusicherung des Quantitative Easing bis zum Sinken der Erwerbslosenquote auf 6,5 % – vor dem Scheitern steht und sie nicht recht weiß, wie sie den Ausstieg aus den Anleihekäufen schaffen soll, ohne selbst zum unkalkulierbaren Marktrisiko zu werden.Insofern war es nach diesen Erfahrungen verwunderlich, dass der neue britische Notenbankgouverneur Mark Carney in seiner ersten Pressekonferenz den Bernanke gab und sich ähnlich weitreichend festlegte (vgl. BZ vom 8. August). Denn bis die Erwerbslosenquote im Vereinigten Königreich den Schwellenwert von 7 % erreicht, werden nach den Prognosen der britischen Notenbank drei weitere Jahre ins Land gehen. Zwar hat Carney eine Reihe von Bedingungen genannt, um an dieser Guidance festhalten zu können. Aber der Ausstieg aus der Politik billigen Geldes wird der Bank of England (BoE) nicht leichter fallen als der Fed.Je länger die Nullzinspolitik die Strategien und Investitionsentscheidungen von Banken und Realwirtschaft prägt, desto größer werden die volkswirtschaftlichen Verwerfungen, wenn eines Tages zur Inflationsabwehr auf restriktive Geldpolitik umgeschaltet werden muss. Weder Fed noch BoE noch Europäische Zentralbank (EZB) haben mit ihrer Niedrigzinspolitik einen konjunkturellen Aufschwung in Gang gebracht.Angesichts der gewaltigen Geldmengen, mit denen die Wirtschaft seit Ausbruch der Finanzkrise geflutet wird, sind die BIP-Wachstumsraten in USA, Großbritannien und Euroland geradezu erbärmlich, die Arbeitslosenquoten immer noch sehr hoch. Übrigens kam die US-Wirtschaft in früheren Rezessionen – nach November 1982, März 1991 und November 2001 – wesentlich schneller aus dem Tal als jetzt seit dem zweiten Quartal 2009. Auch das stützt die These, dass Quantitative Easing das falsche Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit war und ist. Strukturelle ArbeitslosigkeitDas ist insofern keine überraschende Erkenntnis, als die hohe Arbeitslosigkeit in den USA, Großbritannien und Euroland jeweils strukturelle Ursachen hat und mit billigem Geld eben nicht spürbar zu senken ist. Die geplatzten Blasen am Immobilienmarkt, ob in den USA oder in Spanien, die Fehlinvestitionen im Finanzsektor jenseits und diesseits des Atlantiks und die von zu niedrigen Zinsen getriebene Staatsverschuldung in den jeweiligen Ländern sind strukturelle Fehlentwicklungen, die wenig mit dem üblichen konjunkturellen Auf und Ab zu tun haben. Niedrige Zinsen lösen diese Probleme nicht. Sie verschärfen sie nur beziehungsweise lasten sie der nächsten Generation auf.Angesichts der Verirrungen der amerikanischen und britischen Notenbankpolitik muss man von Glück reden, dass das Mandat der EZB ausschließlich auf die Geldwertstabilität abstellt. Zwar ist auch die EZB beziehungsweise ihr Präsident Mario Draghi dem Modetrend zur Forward Guidance erlegen. Aber eine Bindung an Arbeitsmarktdaten dürfte ausgeschlossen sein. Denn weder kennt Euroland einen einheitlichen Arbeitsmarkt, noch wären die Mitgliedsstaaten bereit, sich in ihre nationale Arbeitsmarktpolitik hineinreden zu lassen. Die Mahnungen der EU-Kommission und auch zuletzt von EZB-Chefvolkswirt Peter Praet zu Strukturreformen des Arbeitsmarktes in einigen Ländern der Eurozone laufen meist ins Leere oder provozieren bei den Adressaten Bekundungen arbeitsmarktpolitischer Souveränität.Die EZB sollte sich der Ausführungen ihres ersten Präsidenten Wim Duisenberg erinnern, kurz nach seinem Amtsantritt 1999: “Sowohl die Logik des Vertrages von Maastricht als auch zahlreiche ökonomische Analysen zeigen, dass der beste Beitrag, den die einheitliche Geldpolitik für die Beschäftigungsentwicklung leisten kann, darin besteht, sich auf die Preisstabilität zu konzentrieren.”c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringDie Bindung der ultralockeren Geldpolitik an Arbeitslosenquoten ist ökonomisch Humbug und politisch gefährlich.——-